Der Sonntag in meiner Straße unterscheidet sich rein geräuschtechnisch ziemlich von den restlichen Tagen in der Woche.
Die ganze Nacht über herrscht das Getöse der Kneipenmeile, das Mallorcagegröle der Jungtouris, die sich hier benehmen, wie sich sich zuhause nie benehmen würden. Hier ist es ja egal, sie selber sind nach ein paar Tagen wieder weg und schwärmen wahrscheinlich noch Jahre später, wie cool es doch in Berlin war. Dass sie hier ein Meer von zerschmissenen Bierflaschen und übernächtigte, allmählich immer wütender werdende Anwohner hinterlassen, ist ihnen entgangen oder egal oder beides. Morgens gegen sechs Uhr verschwinden die letzten irgendwo in die Heerschar der Hostelbetten, die hier für wenig Geld für den Tagsüberschlaf per Internet reserviert wurden. Gerade früh genug, damit man nur wenige Leute trifft, die um diese Zeit zur Arbeit gehen müssen, lange genug unterwegs, damit man später damit prahlen kann, „die Nacht zum Tag gemacht“ zu haben und es ja so wahnsinnig cool war, genau an den „places to be“ gewesen zu sein, die der Reiseführer oder verschiedene Veranstaltungsplattformen in aller Herren Länder anpreisen.
Zwischen sieben und neun Uhr ist es sehr ruhig hier, am Sonntagmorgen. Ein paar Vögel zwitschern, kein Auto fährt und die Hundebesitzer auf der Straße sind quasi lautlos. Langsam erwachen meine Nachbarn. Als es viertel vor zehn ist, beginnen die Glocken zu läuten, jeden Sonntag morgen. Ich verspüre noch den Nachklang meiner Kinderzeit, in der das Geläut mich wirklich zum Gottesdienst rief und ich, noch gehorsam, mich rufen ließ. Auf meinem Balkon summen die Hummeln, denn gestern habe ich noch einen Topf Lavendel gekauft. Nur für die Hummeln, denn sie sollen ja noch den einen oder anderen Sonntag hier summen.
Nach dem Frühstück höre ich aus einem Haus in der Nachbarschaft leise Jazzmusik, den Sonntagmorgen-Blues in der noch ruhigen Straße. Etta James und Nina Simone schweben durch die Luft, ruhig, passend zu dieser Tageszeit, Viel zu schnell ist diese ruhige Zeit vorbei geschlüpft,bevor die „Frühstücker“ hier einfallen und das Geräusch der klackernden Rollen der Koffer wieder in der Luft liegen. Vorbei – bald höre ich die Ketten rasseln, die Tische, Bänke und Stühle für ein paar Stunden zur Untätigkeit zusammengehalten haben. Autotüren knallen, es wird gehupt und erbittert um Parkplätze geschimpft, wenn doch ein anderer schneller eingeparkt hat. Stimmen wogen wieder durch die Straße. Touristen schlendern auf der Suche nach dem ultimativen Brunch umher, das Staccato von Hunden, die die Größe von Handtaschen haben, gellt zwischen den Häusern durch. Gestern habe ich die Direktkanditatin der GRÜNEN angesprochen, wie sie sich die Zukunft des Kiezes hier vorstelle. Sie antwortet ziemlich ausweichend, allgemeinplätzig, will wohl erst einmal hören, wie meine Meinung zur Kiezentwicklung ist und redet mir dann nach dem Mund. Nein, man habe sich doch dafür eingesetzt, dass die Bettenzahl pro Hostel begrenzt werde. Nun ja, 200 Betten pro Haus.. Und wenn man zwei direkt nebeneinander umbaut, macht das auch 400 Betten! Als mir ihr Wahlblättchen vorhin durchlas, wird mein Sonntag nicht besser.
Irgendwo schwebt noch ein Rest leiser Klaviermusik vorbei, ich kann ihn aber kaum noch hören vor lauter Sonntagsgeräuschen.
Friedrichshain ist wieder wach.
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