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Wochenendgeschichten

Um mal wieder von Geschäftsengeln und anderen fiesen Tieren mit drei Zungen oder fünf Beinen abzulenken, erzähle ich lieber davon, was mir heute morgen beim Gang zur Backwarenverkäuferin zu über den Weg lief.

Leicht verschlafen zog ich die noch leere Leinentasche durch die Luft, als ich von unglaublichem Gebrüll aufgeschreckt wurde. Fünf Jungs oder möglicherweise bereits Jung-Wahlberechtigte waren offensichtlich noch nicht auf dem Weg zum Frühstück, sondern auf dem Weg nach einer durchzechten Nacht in irgendeine Unterkunft. So ganz bereit dazu waren sie noch nicht, jeder hielt noch das letzte Geh-Bier der Nacht in einer Hand und schwenkte selbige wild. Die anderen Hand nutzte jeder der fünf jungen Herren, um Hosenknopf, Reißverschluss und Gürtel zu lösen. Sie hüpften dabei wild weiter, auf und nieder und grunzend schrieen sie irgendetwas, was dermaßen unverständlich war, dass ich nicht einmal die Sprache identifizieren konnte, nicht einmal die Sprachfamilie!

Die wenigen Passanten, die an einem kalt-grauen Sonntag Vormittag unterwegs waren, schauten zumeist indigniert weg, ich blieb stehen und schaute gebannt zu: inzwischen waren die Hosen etwa auf Knöchelhöhe heruntergerutscht, zumeist weißliche Spargelbeine waren entblößt sowie fünf Unterhosen in unterschiedlichen Sauberkeitsstadien. Obenherum hatten die fünf Freunde sich nicht entblößt. Sie hüpften und gröhlten und gröhlten und hüpften mit heruntergelassener Büxe. Als die „Partytram“ um die Ecke bog, hüpften sie noch über die Schienen, was eine Vollbremsung der Straßenbahn nach sich zog, gefolgt vom Gebrülle des Fahrers. Den hätte ich im übrigen auch nicht verstanden, so wütend war er!

Als nächstes konnte ich beobachten, wie leicht es ist, einem Kind frühkindliche, nicht wegzutherapierende Ängste ins Gehirn zu zaubern: Mutter und Kind auf dem Weg entweder zum Mutter-Kind-Frühstück oder um das Kind beim Kindsvater, der von der Mutter getrennt ist, abzuliefern. Das Kind, etwa 2 – 3 Jahre alt, zockelt lustlos mit einer Art Dreirad über den Bürgersteig. Die liebe Mutter, Marke „eigentlich wollte ich noch keins, aber irgendwie isses ja auch cool“ läuft vorweg und versucht das schniefende Etwas mit „Nun komm‘ endlich…“ und „Ich habe keine Lust mehr…“ auf Trab zu bringen. Das Kind reagiert gar nicht und fährt erstmal in die andere Richtung. Die Mutter zieht in ihre davon. Als sie an einem Hofzugang vorbei kommt, springt sie schnell hinein und wird somit für das Kind, das sich immer wieder umdreht, unsichtbar. Und so kam, was kommen musste: das Kind sah die Mutter nicht mehr und fing an zu schreien, lauter als eine Sirene, lauter als die fünf Sackhüpfer. Es ließ das Gefährt los und rannte in die Richtung, in die das Muttertier verschwunden war, allerdings auch auf die zweispurige Straße zu. Das Kind schrie und schrie mit einer Angst, dass mir ganz angst und bange wurde. Irgendwann tauchte die Mutter wieder auf, mit einer frisch gedrehten Zigarette.  Sie ging zu dem Kind hin und sagte nur: „Nächstes Mal komme ich gar nicht mehr.“ Drehte sich um und ging weiter. Das Dreirad blieb stehen, das Kind rannte hinter der Mutter her. Gruselig!

Ich bin dann nur schnell zum Bäcker gelaufen, mein Bedarf an „Friedrichshain am Sonntagmorgen“ war für’s Erste gedeckt!


17 Antworten to “Wochenendgeschichten”


  1. 1 vati
    15. Februar 2009 um 23:19

    Hoffentlich waren wenigstens die Schrippen gut.

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  2. 2 eat_berlin
    16. Februar 2009 um 18:03

    tja. vielleicht hat das kind aber auch was gelernt. fürs nächste mal…

    (haha, keine angst, ich habe keinen nachwuchs!)

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  3. 3 richensa
    16. Februar 2009 um 18:09

    Die Schrippen waren klasse, brauchte auch nach diesen Aufregungen ein ordentliches Frühstück!
    ;-)

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  4. 4 Kormoran
    16. Februar 2009 um 19:53

    zieh besser bald in die Bucht. Hier ist Ruhe und es gibt nur verständige Mütter und ganz liebe Kinder.
    Leider gibt es keine Bäcker am Sonntag.
    Selbstbacken heißt die Sucht in der Bucht.

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  5. 5 richensa
    16. Februar 2009 um 20:26

    eat_berlin,
    na hoffentlich haben beide gelernt, ich fürchte allerdings nicht (ich hab‘ auch keinen Nachwuchs, beobachte berufsbedingt sehr genau…)

    Und, lieber Kormoran, ich backe durchaus selber, aber wenn die Hefe nicht mehr zum gehen taugt, muss ich halt selber gehen, wenns auch nur zum Bäcker ist!

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  6. 6 GrafSchaf
    16. Februar 2009 um 22:22

    Ja, wirklich gruselig. Und aus der kindlichen Angst erwächst irgendwann Abneigung und Ablehnung. Diese Art von Menschen werden sich jedoch nie Gedanken über die Konsequenzen ihres Tuns machen.

    @Kormoran: In der Bucht? Oh, wie toll – will auch!

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  7. 16. Februar 2009 um 22:46

    Puh. Gut, daß ich die Geschichte erst jetzt lese. Die hätte mir glatt den Tag verderben können. Schön scharf beobachtet, Rich. Und mögest Du sowas bloß nicht allzu oft begegnen …

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  8. 8 6kraska6
    17. Februar 2009 um 12:26

    Das klingt ziemlich genau nach der Ecke, über die Peter Fox in „Schwarz zu blau“ singt, oder? Könnte mir die fünf bierflaschenbewehrten Sackhüpfer gut als Backgroundtänzer vorstellen…

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  9. 9 connect
    23. Februar 2009 um 00:14

    wo wollen frau auguste denn beerdigt werden ?

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  10. 10 richensa
    23. Februar 2009 um 20:20

    Ach, Frau Auguste wollte noch gar nicht beerdigt werden, sie wollte eigentlich erstmal das neue Glück des Ehestandes genießen…
    Mal schauen, leider fehlt die kongeniale Schreiberin, damit wir uns nicht entscheiden, ob nur das Trippeln kleiner Kinderfüße die stetig Stickende erfreut oder was mit Margot und den anderen so passieren könnte….

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  11. 11 connect
    24. Februar 2009 um 01:25

    ich meinte die qype richensa

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  12. 12 GrafSchaf
    24. Februar 2009 um 08:00

    Na, die scheint glücklicherweise auch noch quicklebendig zu sein…

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  13. 13 richensa
    24. Februar 2009 um 20:50

    So gesehen ist sie beerdigt, heute wurde per Mail bestätigt, dass mein Account gelöscht werde.
    Zudem wünschte mir man ganz undramatisch „einen schönen Tag!“ (Zitat)

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  14. 14 ottogang
    8. März 2009 um 15:12

    Um vor dem Frühstück solchen Grauslichkeiten zu entgehen, bin ich auf sehr gutes Brot umgestiegen, am Samstag besorgt und deshalb Sonntagfrüh ohne äußere Einflüsse das Frühstück geniessen.

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  15. 15 GrafSchaf
    8. März 2009 um 16:34

    *schluchz*

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  16. 16 botschaftneukoelln
    9. März 2009 um 20:09

    @kraska: GENAU !

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  17. 17 joulupukki
    12. März 2009 um 16:36

    Aha – Berlin wie es leibt und lebt. Aber keine Sorge, liebe Rich – das wird jetzt ALLES GANZ ANDERS! Künftig gibt es nur noch freundlich lächelnde Berliner und Berlinerinnen und pädagogisch voll ausgerüstete DrDrDr-Elternschaf(t)e(n).
    Siehe HIER!
    (es könnte aber sein, dass es dann erst recht gruselig wird. Man stelle sich das nur vor: Berlin voll korrekt! *bibber*)

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