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A G’schicht‘ ausm Plänterwald

Puh, es ist schon langelange her, als ich vom Ostwestfälischen in die weite Welt aufbrach, um zu studieren. Nach Würzburg, gute 300 km von zuhause fort. Und es war überhaupt nicht einfach, eine gute Bleibe zu finden, denn damals war noch nix mit Internet und mal fix guugeln. Immerhin, mein Immatrikulationstag bleibt mir in ewiger Erinnerung, voller Hochstimmung, ein bisschen stolz, dass ich es geschafft hatte, Bafög-Antrag war auch abgegeben und am Tag, als Franz-Joseph Strauß starb. Eine Bleibe hatte ich auch gefunden, in einem 1970er-Jahre-Billigbau, der im Winter eher frisch war, im Sommer durch die großen Fenstern bullig warm. Aber der Blick über Würzburg mit allen Kirchtürmen, auf die Festung und das Käppele war spektukulär. Wenn ich den Blick senkte, fiel selbiger auf eine vierspurige Schnellstraße und den Rangierbahnhof. Egal, die ersten eigenen vier Wände, auch wenn diese recht nahe beieinander standen.
Zum Glück will ich heute nicht mehr studieren und das Ende gar noch in Berlin. Der Wohnungsmarkt ist ja heftigst umkämpft, aber ein Investor hat sich für Studenten etwas einfallen lassen: das Containerdorf!
Es soll chick, schnell errichtet und quasi abwaschbar sein. Und um die Kosten im Auge zu behalten, soll es auch nicht in einem der Trendbezirke errichtet werden, sondern im Stadtteil Plänterwald. Heute morgen las ich davon in der örtlichen Presse, zwei Klicks später war ich auf die Projektwebsite gelangt. Die Idee ist schnell skizziert: insgesamt bis zu 400 ehemalige Seecontainer sollen auf- und nebeneinander gestapelt werden, gedämmt und mit einer Minimalausstattung, was Bad und Küche angeht ausgestattet werden, um dann in Einer-, Zweier- und Dreiereinheiten unterschiedlicher Größe Platz für Studierwillige zu bieten. Die Gebäuderiegel sollen dann „Frankie“ und „Johnny“ und „Nelly“ heißen. Gemeinschaftsgärten nach dem „urban gardening“-Gedanken soll es geben und eine Menge weiterer Gemeinschaftseinrichtung. Studentenwohnheim goes cooles Berlin oder so…
Und ei-der-Daus! Heute konnten sich Interessenten einen Probecontainer anschauen. Och, das fand ich doch auch ganz interessant, zumal hier in Baumschulenweg so wenig Trendiges passiert („Und das ist auch gut so…“). Weit hatte ich es ja nicht. Eigentlich wollte ich den gerade zu Besuch weilenden Neffen mitnehmen und mich als liebende Tante und eiskalte Interessentin ausgeben. „Guck mal Schatz, das ist doch hübsch… Nein, ich will nicht, dass Du bei mir wohnst, wenn Du in Berlin studieren willst… Schaumal, hier gibt’s auch ein Toilettchen“ und er hätte auch meckern dürfen, dass es zuhause viel mehr Platz hat. Aber der junge Herr wollte nach dem Promenieren und Shoppen im Städtchen nur noch ausruhen. Schade eigentlich. Also musste ich alleine losziehen. Nur schnell noch das Tantenhütchen gegen die Sonne aufgesetzt.
Zunächst überraschte mich die Menge der Besucher auf dem nur notdürftig hergerichteten Areal, aber wie ich nach kurzem Umherschauen bemerkte, waren das überwiegend Bewohner der Gegend, die, wie ich, „mal kurz gucken“ wollten. Radio Fritz sorgte für die Beschallung, wahrscheinlich wäre Antenne Brandenburg geeigneter gewesen. Im Besichtigungscontainer war’s hübsch eng, nicht nur der Container selber, sondern auch die Besucher. Somit ist schon einmal klar, dass innerhalb des Single-Containers kaum die Gesichtsbuch-Freundesliste auf einmal eingeladen werden kann. Das Errichterteam war deutlich erkennbar: einer der Architekten aus dem Team trug seine Berufsbezeichnung hinten auf dem himmelblauen Hemd, desgleichen die Projektleiterin, die Pressetante, der Bauguru und das Mädchen für Alles. Der Nachmittag war ja schon fortgeschritten, leichte Ermüdungserscheinungen machten sich bei den Herrschaften bemerkbar: meine Fragen an die Projektleiterin nach Heizung und energetischen Daten beantwortete diese schon leicht genervt. Der Herr im Container sprach sehr intensiv mit einem Besucher, der offensichtlich ebenfalls eine Menge Fragen hatte. Nein, sie wollten keine Dauermieter, sondern nur Studenten. Mhmm, dachte ich mir, denn die veranschlagte Miete ist mit 349 – 399 € für den Single-Container (je nach Ausstattung) jetzt auch nicht so gering, es ist eine All-inclusive-Miete mit Strom, Heizung, Wasser und wichtigwichtig Hochgeschwindigkeitsinternetanschluss. Für die Ausstattung des Probecontainers wurde zumindest im Sanitärbereich eher gespart als einmal in eine High-End-Ausstattung zum Anlocken der Kundschaft zu investieren.
So habe ich keine weiteren Fragen mehr gestellt und mir nur einen Gang über das Gelände gegönnt, vorbei an den spärlich besetzten Pflanzkisten hin mit Entwürfen des beauftragten Architekturbüros Holzer Kobler aus Zürich und am obligatorischen Würstchengrillstand.
Mal schauen, wie das Projekt weiterläuft, Wohnwillige können sich über die Projektwebsite vormerken lassen, um dann ab Oktober dort einzuziehen.
Übrigens eher unprofessionell, dass auf der Website noch so einiges an den berühmten „Lore ipsum“-Blindtexten zu lesen ist.


11 Antworten to “A G’schicht‘ ausm Plänterwald”


  1. 21. Juli 2013 um 07:09

    Richtig vermieten wird sich das Containerdorf nur mit einem 6m hohen Bretterzaun aus rohen Brettern mit Rindenanschnitt. Alle InClubs von Berlin haben Das. Dieses Zeichen verstehen die jungen Menschen!

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  2. 2 Philipp Elph
    21. Juli 2013 um 15:39

    Bewährt haben sich diese Containerdörfer bereits auf Großbaustellen als Büroräume, Aufenthalsträume, Unterkünfte für die importierten Arbeiter von Subunternehmen etc. Aber ob derartige Container wirklich bewohnbar sind? Du hast es ja erwähnt: Ernergetische Daten zu erfahren, das wäre interessant.

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  3. 21. Juli 2013 um 17:06

    @kormoran, und die Anwohner verstehen es auch… dass sie draußen bleiben sollen.
    @philipp, stimmt, aber die waren nicht so aufgehübscht, besonders wenn sie Asylsuchenden als Behausung dienen sollen. Tja, es war trotz etwa 28°C Außentemperatur innen etwas kühler als draußen.

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  4. 4 karu02
    22. Juli 2013 um 11:02

    Ich möchte nicht darin wohnen müssen.

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  5. 24. Juli 2013 um 00:06

    Ach Würzburg. Da habe ich auch studiert. Wo warst du? Klingt nach Grombühl oder so?

    Von den Containern hatte ich schon gehört, aber dann nichts mehr gelesen. Es wird also wahr.
    Ich bin noch hin und her gerissen, ob ich das cool oder schrecklich finden soll.
    Ich glaub, ich würde mich eingesperrt fühlen.
    Aber mit dem richtigen Zaun (sehr gute Idee kormoranflug!) und den richtigen Namen wird das vieleicht doch ein voller Erfolg.

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  6. 24. Juli 2013 um 07:53

    Hm, ich schwanke auch noch, ob ich diese Container gut finden soll, Eigentlich eher nicht, selbst würde ich jedenfalls auf keinen Fall darin wohnen wollen. Ist die Wohnungsnot für Studenten jedoch tatsächlich so groß und kann nicht anders gelöst werden, bieten die Kästen wenigstens ein Dach überm Kopf. Gut geschrieben, der Artikel, sehr kurzweilig und informativ zugleich! Die „Gesichtsbücher“-Freundesliste…, lach!

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  7. 24. Juli 2013 um 15:35

    @karu, ich auch nicht!
    @tikerscherk, jaha, Grombühl.. immer, wenn ich mit dem Zug durch Würzburg fahre, drücke ich mir die Nase am Zugfenster platt, um zu schauen, ob die westdeutsche Platte da noch steht.. :-)
    @rotewelt, auf alle Fälle ist der Quadratmeterpreis nicht ohne, er dürfte über 10€ liegen…

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  8. 25. Juli 2013 um 13:29

    Hm. Ich finde den Gedanken prinzipiell gut. (Und ob ich in so was wohnen wollte? Unter gewissen Voraussetzungen: ja. Ich mag minimalistisch.)
    Nur steht m.E. zu befürchten, daß (All-inclusive-Miete!) die ganze Sache schnell verkommt; hohe Fluktuation, keiner fühlt sich zuständig, und man zahlt ja einen ordentlichen Batzen, da kann auch mal was kaputtgehen … Ich hoffe, Du berichtest weiter?

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