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Gruselfaktor moderner Reliquienkult

Heute ist hat der derzeit amtierende Papst Benedikt XVI. seinen Amtsvorgänger Johannes Paul II. selig gesprochen, ihn sozusagen auf den Weg zum Heiligen der katholischen Kirche gebracht. Als katholisch erzogene Ostwestfälin fühle ich mich wirklich befremdet von dieser sehr altertümlich wirkenden Zeremonie, die gerade sechs Jahre nach dem Tod des letzten Papstes vollzogen wurde. Wichtig für die Selig- und später für die Heiligsprechung ist der Nachweis von Wundern. Wobei aus meiner inzwischen eher naturwissenschaftlich geprägten Sicht der Dinge das bislang einzig dafür in Anspruch genommene Wunder nicht besonders überzeugend wirkt. Eine an Parkinson erkrankte Nonne erfuhr angeblich eine Spontanheilung, die sie den Gebeten zum verstorbenen Papst zu verdanken glaubt. Glaube, das ist natürlich das Zauberwort und das möchte ich ihr ja nicht einmal absprechen.

Richtig gruselig wird es aber nun, wenn ich höre/lese, dass es bereits eine Reliquie gibt, die verehrt wird: Blut in einer Ampulle, die, so war es in der Tagesschau zu sehen, in ein pompöses silbergefasstes Gefäß mit Glaseinsatz gezeigt wird. Puh, Leute, wird sind zwar einiges gewohnt, natürlich auch Reliquien, die angeblich Blut von Heiligen, die seit hunderten Jahren verstorben oder unter meist gräßlichen Umständen zu Tode kamen.Andere Reliquien sind winzige Knochenstücke, die auch heute noch in der katholischen Kirche weiter an neue Kirchengründungen von vorhandenen Reliquien „abgezweigt“ werden. Für Gegenden, die in der Karolingerzeit großräumig missioniert wurde, kam es sogar vor, dass ganze Skelette als Reliquien herantransportiert wurden, beispielsweise Liborius als zukünftiger Bistumsheiliger von Paderborn oder Vitus als Patron des Reichsklosters Corvey. Beide kamen 836 aus Nordfrankreich als Lieferungen, wobei Vitus oder was von ihm übrig war irgendwo bei Soest warten musste, bis der wichtigere zukünftige Bistumsheilige durchgezogen war, als Skelett versteht sich. Er sollte schließlich zuerst ankommen!

Oftmals enthalten mittelalterliche Reliquiensammlungen gerne auch Tierknochen, sofern sie überhaupt anthropologisch resp. archäozoologisch bestimmt werden, schließlich blühte ja der Handel mit den angeblich heiligen Gegenständen seit dem Mittelalter heftigst. Auch dagegen hatten die Kirchenreformer an der Wende zur Neuzeit mit Recht so einiges auszusetzen!

Aber diese Anbetung von Blut eines vor sechs Jahre verstorbenen Kirchenfürsten ruft bei mir nur Unverständnis und Befremden hervor. Wann wurde ihm das Blut abgenommen? War es eine Blutkonserve? Nach dem Tod ist irgendwie schwierig. Fragen, die ich mir stelle und die ich gerne beantwortet bekäme.

Und da stellt sich die katholische Kirche gegen andere Religionen, die so heidnisch sind? Ehrlich, das hat einen ziemlichen Beigeschmack… bloody hell!

Die Blutreliquie wird aufgestellt (Foto: dapd über tagesschau.de)

Die Blutreliquie wird aufgestellt (Foto: dapd über tagesschau.de)


12 Antworten to “Gruselfaktor moderner Reliquienkult”


  1. 2. Mai 2011 um 07:45

    Ich muß zugeben, daß mich die Fähigkeit des Katholizismus, alle Rationalität, alles Zeitgemäße und alles Verhältnismäßige komplett auszublenden und sich den kindlichsten Bedürfnissen der menschlichen Psyche hinzugeben, zutiefst fasziniert. Bei allem Befremden, das ich als Mensch des zwanzigsten Jahrhunderts davor verspüre.
    Was mich an der aktuellen Seligsprecherei stört, ist ihre politische Dimension. Da kommen Kinderglaube und Berechnung zusammen, und das ist eine häßliche Mischung.

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  2. 4 6kraska6
    2. Mai 2011 um 09:51

    Tja, und da glauben immer alle, die Aufklärung liege HINTER uns. Ohne Spur von Voodoo und Magie funktioniert keine Religion. Die Alternative wäre der spröde nordische Betonkirchen-Protestantismus, mit dem ich aufgewachsen bin. Mann, war DAS langweilig…

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  3. 5 karu02
    2. Mai 2011 um 11:44

    Für mich ist es jeweils schwer, mich der Faszination des Makaberen zu entziehen. Bestimmt wäre ich eine gute Katholikin geworden, hätte man mich entsprechend getauft; die Instituion befriedigt alle diesbezüglichen Bedürfnisse, was mir gerade erst wieder im Kloster Guadalupe bewusst wurde. Diese Gruselkabinette der Reliquienkammern übertreffen selbst die Vodoo-Sammlungen.
    Die Vorstellung, dass dem sterbenden Greis noch schnell ein Ampüllchen Blut (ich las, es sind derer sogar sechs, damit die wichtigsten Pilger-Stationen damit ausgestattet werden können) abgezapft wurde bevor es nicht mehr fließt, wie der Arzt fluchend nach einer noch funktionierenden Vene suchte während Gevatter Tod ihm mit der Sense im Nacken stand, wie aufgeregt eine Nonne das versilberte Tablett hielt mit den Spritzen, die andere mit den sterilen Behältnissen, wie man sich dann beeilen musste, weil doch die Ölung noch anstand, das alles entzündet eben auch meine Phantasie.
    Da kann ich dem Herrn Magister nur zustimmen, in protestantischen Kirchen entzündet sich gar nichts, höchstens ein paar Pickel an denen man aus Langeweile pult. Außerdem verstehen die Protestanten gar nichts von Geschäften, die den Lebensunterhalt ganzer Landstriche sichern mit Päpsten als Lolly z.B. (Kevelaer), von dem nun eine bisschen Seligkeit für den Hausgebrauch abgeschleckt werden kann.

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  4. 2. Mai 2011 um 23:04

    Ach, die protestantischen Kirchen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sind oft so prachtvoll ausgestattet, dass der Katholik blass wird vor Neid …

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  5. 7 richensa
    3. Mai 2011 um 06:07

    @karu: ich bin ja auch als Katholikin erzogen worden, kann ebenfalls bis heute an Wallfahrtskirchen mit barockem Pantheon (sic!) und Sammlungen von wächsernen Gliedmaßen, die ca. 1780 durch intensives Beten zum Patron der Kirche geheilt wurden, staunend betrachten oder mumifizierte Heilige in gläsernen Schaukästen. Aber dein Szenario, wunderbar die Nonne mit dem zitternden Silbertablett, ist einfach nur mehr als befremdlich. Wobei mein Kollege gestern auch meinte, dass sie ja für die offensichtliche Balsamierung des Verstorbenen, der ja seit sechs Jahren nicht bestattet wurde, alle Körperflüssigkeiten hätten „ablassen“ müssen. Recht hat er.. und warum gibt’s dann „nur“ sechs Blutröhrchen?
    Aber irgendwie überrascht mich dieser Reliquienzauber nicht, immerhin dachte ich erst, als ich von den Reliquien hörte, dass sie den Hingeschiedenen, wie weiland im Mittelalter, komplett auseinander genommen hätten. Gewundert hätte es mich auch nicht.

    @kraska: es gibt auch spröde katholische Betonkirchen, aber auch die haben irgendwo im Altar ein Bröckchen Reliquie…

    @vilmos: ja, die sind aber auch zweitverwendet von den Protestanten und die echten Hardcore-Calivinisten hätten auch mit der Ausstattung nicht lange gefackelt, aber man war ja eher lutherisch….

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  6. 10 joulupukki
    3. Mai 2011 um 14:23

    Gruselig wirds erst, wenn der Ex-Papa ausgestopft durch italienische Dörfer getragen wird, bis dahin ist alles harmlos. Außer natürlich dieses seltsame Blutgefäß. Seit ich DAS gesehen habe, verstehe ich das Wort „Monstranz“ erst so richtig. Aber wieso das Ding letzte Woche auf Frauenköpfen herumgetragen wurde, hab ich noch nicht so ganz geschnallt.

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