Um 1930 kaufte mein Großvater günstig ein Stück Land, welches damals unbebaut war. Es maß etwa einen Morgen (ca. 1/4 ha), lag im weitgehend unbebauten Nordosten der ostwestfälischen Kleinstadt. Erst nach und nach füllten sich die Nachbargrundstücke mit Häusern, Betrieben und Gärten.

Gartenhaus mit Urgroßeltern und vier Enkeln (ca. 1936)
Als dann schließlich mein Großvater meine Großmutter ehelichte und sich der Nachwuchs schneller als gedacht ansagte und weiter an Zahl und Köpfen zunahm, musste dafür gesorgt werden, dass die Brut und man selber mit frischem Obst und Gemüse versorgt wurde. So wurden auch angrenzende Flächen hinzugekauft und auf dem Grundstück eine stattliche Anzahl von Apfel- und Birnenbäumen angepflanzt, auch Kirschbäume gab es.
Auf diese Weise war vom Frühjahr bis Spätherbst für Vitamine und Arbeit gesorgt, was nicht stantepede verzehrt wurde, musste meine Großmutter, von der eigenen Mutter und diversen Küchenmädchen unterstützt, eingeweckt, in Kellern gelagert oder auch getrocknet werden. Mein Großvater machte unterdessen Karriere zum Direktor der örtlichen Gummifädenfabrik. Als Kind dachte ich immer, dass dort nur diese Gummibänder für Haarspangen oder diese Schlüpfergummis, die wir zum Gummitwistspringen zusammenbanden, hergestellt wurden, aber nein, Keilriemen, damit machte man das Geld.

Urgroßvater mit jüngstem Enkel und Schafbock, Gartenhaus hält sich bescheiden im Hintergrund.
Nun, bei fünf Kindern und den Schwiegereltern wurde die Haushälfte oftmals etwas eng und so wurde auf dem Gartengrundstück folgerichtig ein Gartenhaus gebaut, Anfang der 1930er Jahre. Das Haus hatte zwei Räume mit Veranda und ein echtes Plumpsklo, aber nicht en-suite, an das Schlafzimmer angehängt, sondern von außen begehbar. Später wurde noch einmal umgebaut, die Veranda verglast, denn dort pfiff der Wind doch zu sehr um die Kaffeetasse.
Der Kirschbaum vor dem Haus ist erst wenige Jahre alt.
Das Gartenhaus wurde zum Ort der Sommerfrische, während der Ferien, zum Wochenende, wenn die Hausaufgaben erledigt und die Gartenarbeit noch bevor stand. Im Haus standen für die Eltern und die Kinder Betten, eng war es schon, aber schließlich ging man ja nur zum Schlafen ins Haus. Bei schlechtem Wetter konnte man auch flugs den Heimweg in das ca. 10 Fußminuten entfernte Haupthaus antreten.

Urgroßvater im Sonntagsanzug mit Zigarre unter dem Kirschbaum (1950)
Während des zweiten Weltkriegs musste der Gemüsegarten erweitert werden, um die Familie auch weiterhin in ausreichender Menge mit Gemüse und Obst versorgen zu können.Zeitweise war das Gartenhaus an ausgebombte Flüchtlinge aus Dortmund vergeben, den blinden Herrn Appelberg und seine Gattin, Freunde meiner Urgroßeltern. Irgendwann kehrten die beiden heim ins geliebte Ruhrgebiet und die Familie konnte das Gartenhaus wieder beziehen.
Mein Urgroßvater versuchte sich in der Zeit nach 1945 kurzzeitig im Tabakanbau, stellte dies nach einigen Fehlversuchen aber ein und wechselte zum Kirschblatt. Allerdings verliefen auch diese Versuche nicht zur Zufriedenheit des älteren Herren.
Schließlich verlegte er sich auf die Hege und Pflege der Schafe, offensichtlich der Beginn einer echten Tradition in unserer Familie!
Das Gartenhaus wurde mit einem Zaun aus der Weide ausgeschlossen, auf der nun die wolligen Neubewohner blökten.
1953 schließlich wurden auf dem vorderen Grundstück die Obstbäume abgeholzt, die Beete umgegraben: mein Großvater ließ sich ein Haus bauen, gedacht dazu, auch im Ruhestand eine angemessene Bleibe zu haben, denn ins Gartenhaus wollte man nun doch nicht ziehen, kein Wunder, nur mit einem kleinen Kanonenofen zur Wärmegewinnung und Wasseranschluss außerhalb des Hauses am Pumpenschwengel. Das Gartenhaus wurde in den folgenden Jahren etwas vernachlässigt, erst als die erwachsenen Töchter, meine Tanten in ihrer Urlaubszeit dort ihr Domizil aufschlugen, kehrte wieder Leben ein.

Das Gartenhaus als Urlaubsdomizil (ca. 1982)
Nachdem sie Mitte der 1970er Jahren eine Weltreise, die noch jahrelang für viel Gesprächsstoff in allen Teilen der weitverzweigten Familie sorgte, unternommen hatten und danach mit der Mutter in so exklusiven Orten wie Malente in Holstein oder auf der Mainau am Bodensee weilten, zog es die beiden zurück an den Ort der Kindheit.
Als schließlich meine Schwester und ich das Häuschen für uns entdeckten, wurde es für uns ein leider viel zu oft verschlossener Ort, den wir nur ausnahmsweise bewohnen durften: wenn die Tanten dort waren und uns zum Frühstück einluden: mit feudalem Toastbrot und „Kullermarmelade“, der Heidelbeermarmelade mit dem fatalen Hang von der gerösteten Brotscheibe herunterzukullern.
Zum Abschluss meines ersten Schuljahrs war aber das Häuschen wieder strahlender Mittelpunkt eines rauschenden Festes mit etwa 30 Erstklässlern!

Party, Party, Party (1976)
(Im übrigen fällt mir jetzt erst auf, dass mein Vater sowohl 1976 als Ärmel auf den Stufen des Gartenhauses als auch bei der Kaffeerunde 1982 dasselbe Hemd trägt!)
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