Lange liegt mir diese Geschichte schon irgendwo auf dem Schreibtisch meines Hinterkopfes herum, mehrmals habe ich hier schon angefangen, sie aufzuschreiben, bin aber nie zum Ende gekommen. Am Freitag war ich zum Essen eingeladen, gegessen wurde koscher im Gabriel’s im jüdischen Gemeindehaus in der Fasanenstraße. Der Gastgeber entschuldigte sich zwar immer wieder für das Essen, welches aber gar nicht unschmackhaft war, dennoch waren das Interessanteste die Tischgespräche.
Und so kam diese uckermärkische Impression der anderen Art wieder an die Oberfläche.
Als ich im Herbst 2008 relativ unvermittelt in der Uckermark zu tun hatte, brauchte ich für die Dauer meines Aufenthaltes natürlich auch eine Übernachtungsmöglichkeit. Dummerweise hatte Brandenburg gerade Herbstferien, keine der bekannten Unterkünfte hatte noch ein Bett für mich frei.
Eine Mitarbeiterin gab mir den Tip, es bei einem der Höfe in Dreesch zu versuchen, dort hätten Kollegen auch schon einmal eine Bleibe gefunden, als unsere sonstigen Pensionen belegt waren.
Als ich an den Gartenzaun trat und auf die Klingel blickte, musste ich erst einmal lächeln, denn der Name verhieß mir deutlich, dass hier Westfalen wohnten, „…kötter“ lässt seine geografische Herkunft unschwer verleugnen. Ich trat durch den Vorgarten an die Haustür und klingelte.
Und klingelte noch einmal, da niemand die Tür öffnete, es war schließlich ein großes Haus, vielleicht hatte man mich nicht gehört. Als ich mich gerade schon zum Gehen umdrehen wollte, wurde die Tür doch noch geöffnet. Ein älterer Herr Anfang siebzig musterte mich. Ich sagte mein Sprüchlein auf, dass ich eine Unterkunft von Montag bis Freitag suche, und dass ich den Tip bekommen hätte, dass sie auch vermieteten. Plötzlich fing er an zu weinen. Ich stand da, wie vom Donner gerührt und war mir keiner Schuld bewusst. Dann sagte er, dass seine Frau im Krankenhaus sei. Ich fragte, ob es denn etwas Schlimmes sei. Er schneuzte sich die Nase in ein großes kariertes Taschentuch und meinte, nein, sie wäre zur Beobachtung da, weil sie Kreislaufprobleme habe. Aber er, er fing wieder an zu weinen, er sei ganz alleine und müsse sich um alles alleine kümmern. Mein Mitleid wandelte sich in abwartendes Schweigen, schließlich weinte er ja nicht, weil seine Frau krank war, sondern eher Mitleid heischend um sich selber. Schließlich sagte ich, dass ich ihn dann nicht länger stören wolle. Er fiel mir ins Wort und meinte, dass ich trotzdem das Zimmer haben könne, ich müsse mir aber das Bett selber beziehen und es wäre schön, wenn ich auch das Frühstück bereiten könne, er würde dann auch mit mir frühstücken. Nun ist es nicht meine Art, fremden Herren das Frühstück zu bereiten und langsam beschlich mich das Gefühl, dass er eine Putzfrau suchte. Ich bedankte mich artig und wollte gehen, da begann er unvermittelt, mir sein Leben zu erzählen, dass seine Frau die zweite sei, von der ersten sei er geschieden, er berichtete mir von der LPG, der er vorgestanden habe, welche Straße erst auf seine Initiative gebaut worden sei und überhaupt. Mir war schon sehr unbehaglich ob dieser vielen Geschichten, die ich eigentlich nicht hören wollte, aber ich wollte ihn auch nicht so da in der Tür stehen lassen, meine anerzogene Hemmschwelle ließ mich verharren.
Dann holte er noch weiter aus und erzählte, dass seine Eltern 1937 aus der Nähe von Unna in die Uckermark gezogen wären, denn in Westfalen hatten sie als Landarbeiter kein eigenes Land besessen, erst mit der inneren Aufsiedlung inklusive Landzuteilung durch den „Reichsnährstand“ in der 2. Hälfte der 1930er Jahre wurden sie zu Herren auf eigener Scholle.
Nun wurde mir auch klar, warum das kleine Dorf so gleichartige Höfe mit diesen großen dunklen Holzscheunen hatte: es handelte sich um eine planmäßige Ansiedlung, wie sie zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion durch die nationalsozialistische Agrarpolitik durchgeführt wurden.
Der Mann an der Tür erzählte mir, dass er als vierjähriger Junge mit seinen Eltern in die Uckermark gezogen sei. Im Dorf wohnten Neubauern aus allen Ecken Deutschlands, Schwaben, Niedersachsen, Hessen. Und die neuen Hofbesitzer bekamen auch gleich Hilfskräfte aus Polen, der Ukraine, aus Frankreich und Belgien, wie er mir erzählte. Das Wort „Zwansgarbeiter“ war nur in meinem Kopf. Und er erzählte auch ganz stolz, dass er als Kind sogar ein paar Brocken polnisch gesprochen habe. Heutzutage würde man ja auch wieder nach Polen zum Einkaufen fahren. Und dann kam der Moment, als ich mich umdrehte und grußlos ging: „Heutzutage,“ sagte er eifrig, „heutzutage würde ich auch, wenn meine Frau nicht mehr ist, einer Polin die Hand reichen. Sie sind gar so nicht dreckig, wie man immer sagt.“
Mir war ziemlich schlecht, als ich fast vom Hof lief. So sieht er also aus, der nette Rechtsradikale von nebenan: ein freundlicher älterer Herr, der einem die Haustür öffnet.
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Haustürgeschichten
Impression aus Pinnow
Auch wenn ich nun erst einmal nicht mehr dauernd in der Uckermark mein Unwesen treibe, wird in der nächsten Zeit die eine oder andere Impression aus meiner brandenburgischen Lieblingsecke hier auftauchen.
Fangen wir mal mit Pinnow an:
Der Bahnhof ist hübsch angemalt, es gibt fast jede Stunde einen Zug, der anhält, ungewöhnlich in den heutigen Zeit, weitab auf dem Lande…
Landstraße in der Uckermark
Nun neigt sich meine Zeit in der Uckermark leider erst einmal dem Ende zu, und so habe ich die Zeit genutzt, noch einmal in Ecken zu schauen, in die ich noch nicht geschaut hatte. Neben einem ganz reizenden Badesee bei Lützlow entdeckte ich einmal mehr zwei reizende Rosen im Wirrgarten der Straßenbeschilderung, genauer gesagt zwischen Lützlow und Hohengüstow.
Aber schaut selber, liebe Leser:
(*fluchleise* – Der Server will die Bilder nicht, sie sind doch ganz klein!??)
Also… coming soon…

Allzeit bereit
Endlich finde ich Zeit, wieder einmal eine uckermärkische Impression mit euch zu teilen.
Es ist eine mobiler Hochsitz für den offensichtlich eher ungeduldigen Jäger mit Höhenangst: die Rollen helfen, den eher ungewöhnlichen Ansitz schnell einmal in wildreichere Gegenden des Reviers umzustellen, wirkliche Höhen muss der tarnfarbig Gewandete auch nicht mitsamt dem Schießgewehr erklimmen, um so nach vollendeter Tat schnell zum erlegten Wild eilen zu können, um es gleich aufzubrechen und dem treuen Teckel Anteile der Innereien (Geräusch und Gescheide) zu überlassen.
Ach, ich schweife ab, aber eigentlich die Urmutter aller Schwurbeleien scheint ja die Jagdsprache zu sein, wie ich eben bei wikipedia lesen konnte, denn mit etwa 3000 Wörtern, die jeder ordentliche Jäger zwischen Schleswig-Holstein und Bayern, zwischen dem Rheinland und Sachsen versteht, gibt es weitere 10000, die in den jeweiligen Dialekten verstanden werden. Holla, ein ganz schönes Jägerlatein, welches dort verbraten wird!
Ich stelle mir gerade den höhenängstlichen, leicht ungeduldigen Jäger vor, wie er im niedrigen, rollbaren Hochsitz Jägervokabeln lernt und so manchem Hasen oder so manchem Reh der schnellen Tod erspart bleibt. Schöne Vorstellung!
Der Laden in Klockow
Heute habe ich endlich einmal die Gelegenheit genutzt, den kleinen Laden in Klockow im Kreis Uckermark, ganz im Nordosten von Brandenburg zu besuchen. Es wurde dringend Süßes benötigt, um kleine Launetiefs zu überbrücken.
Vor dem Laden wurde ich von einem missmutig blickenden Mops angestarrt, der an einer Laufhilfe angeleint war. Das zugehörige Frauchen fühlte sich offensichtlich so beflügelt, dass sie das treue Gefährt und den treuen Gefährten vor den Toren des dörflichen Konsums stehen ließ.
Hinter dem Eingang hat der Kunde die Wahl, den Laden durch die Tür mit der Aufschrift „Eingang“ oder „Ausgang“ zu betreten oder sich über die Mittagskarte des „Dörphuses“, der ländlichen Kantine, zu informieren. Im Inneren des Ladens findet man ein breites Spektrum an Waren des täglichen Bedarfs, allerdings nicht in der aus den großen Supermärkten bekannten Vielfalt. Dafür gibt es eben alles: Gemüse, Allzweckreiniger, Besenstiele, Kartoffelbreipulver, Joghurt, Milch, Rotkäppchensekt Mild und natürlich Klopapier.
Als wir zu dritt auf der Suche nach Süßigkeiten den Laden betraten, verstummte einmal wieder kurz die Gespräche, wir wurden von der Kundschaft, von der Verkäuferin und dem Marktleiter kurz gemustert. Schließlich schienen alle der Meinung zu sein, dass unser Auftreten nicht das Wählen der Notrufnummer erforderte und es wurde wieder munter weiter geplaudert. Mopsen Frauchen bezahlte ihre Äpfel, die Wurst und eine kleine Flasche Likör. Ihre Einkäufe wurden ihr in den Korb der Gehhilfe gebracht, offensichtlich zufrieden zogen die drei, Mops, Gehhilfe und Frauchen von dannen.
Wir hatten auch unseren Einkaufserfolg und zogen ebenfalls von dannen.
Landshop
Dorfstraße 30
17291 Klockow bei Prenzlau
Wege
Lesefund
Vor Jahren habe ich einmal eine Taschenbuchausgabe von Thomas Mann’s „Zauberberg“ auf englisch an den Klippen von Moher gefunden. Letzte Woche geriet mir wieder ein ähnlicher „Lesefund“ vor die Füße, an einem Straßendamm bei Klockow, literarisch zwar nicht ganz so hochkarätig.
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