Friedrich Christian von Kalebuz ist unter diesem Namen kaum bekannt, wohl aber als „Ritter Kalbutz“ ist er in den Erzählungen meiner in der Nähe Berlins als Kinder der DDR aufgewachsenen Freunden wohl bekannt. Sie fuhren klassenweise dorthin und bestaunten die nackte Mumie des Mannes, der da unter Glas in seiner leicht verschrumpelten Herrlichkeit zu Gruseln und Kichern einlud.
Das Dorf Kampehl bei Neustadt an der Dosse lebte von seiner lange verstorbenen Anziehungskraft, denn so zeigte man den Kindern was lügnerischen Großgrundbesitzern passiert, die den armen, aber braven Bauern betrügt oder wie hier die Sage erzählt, den braven Bräutigam der Maid ermordet, die sich dem angeblichen „Recht der ersten Nacht“ des virilen Junkers entziehen wollte. Und das sollte ihnen gehörigen Respekt vor den Tugenden des Arbeiter- und Bauernstaates einflößen. Der „liebe Gott“ meiner Kindheit samt Beichtzwang in der katholischen Kirche war nicht so weit entfernt, so rein modellmäßig. Letztens sagte meine Freundin Frau Vau voller Inbrunst, dass sie doch so gerne mal wieder nach Kampehl wolle, dass ich nun auf der Rückfahrt von Lüneburg, die als „elegische Landpartie“ über mehr oder weniger stark befahrene Landstraßen führte, darauf bestand, jenen berühmten Ritter endlich einmal zu sehen. Rund um die mittelalterliche Feldsteinkirche schmücken sich diverse Cafés, DDR-Nostalgie-Scheunen, Rittersaal- und Töpfereigaststätten mit dem Namen des Ritters, angesichts des prächtigen Pfingstwetters waren auch alle wohlbesetzt von Familien, Motorradfahrern und Oldtimerbesitzern. Wir wollten aber nicht einkehren, sondern nur dem Freiherrn einen Besuch abstatten, aber so einfach ging das gar nicht. Vor der winzigen Einmann-Gruft des 18. Jahrhunderts an der Nordseite der mittelalterlichen Kirche saßen auf den Bänken schon etwa 20 Neugierige, die auch durch die Gruft geführt werden wollten. Mir war angesichts der geringen Größe der angebauten Gruft schon klar, dass kaum mehr als der Freiherr unter seiner Glashaube und eine sehr kleine Gruppe hineinpassen würden, viel Luft war sicher auch nicht mehr vorhanden, nur das kleine Fensterchen mit Gitter lässt ja Frisches hinein. Schließlich kam die letzte Gruppe aus dem kleinen Gelass, das Führungspersonal bestand auf einer Pause mit Getränk und Stulle, aber so war mir ein Blick hinein möglich. Der arme Freiherr, so ganz alleine liegt er da in einem barocken Sarg unter dem Glasdeckel, keine Familie, nur neugierige Gruselwillige. Die Motorradfahrercombo überschlugen, ebenso wie ich, wie lange man wohl warten müsse, bis man für den Obolus von 3 € die vermutlich wissenschaftlich kaum haltbaren Geschichten hören können würde. Ein echtes Geheimnis sind ja diese neuzeitlichen Mumien nicht, wie das Schild an der Zugangstür reißerisch ankündigte. Die Zutaten sind überschaubar: in der frühen Neuzeit bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts war es in Adels- und Bürgerkreisen geradezu Mode, die lieben Verstorbenen nicht mehr der Erde zum Vergehen zu überantworten, sondern stellte sie in oftmals reich verzierten Metallsärgen, manchmal auch in reichverzierten Holzsärgen, die innenliegend oftmals noch den Zinn-/Zinksarg enthielten. In den Särgen lagen oft Schüttungen von gerbsäurehaltigen Holzspänen unter den Leichen, die einerseits austretenden Flüssigkeiten auffingen, aber auch antiseptisch, wie auch die Metallsärge, und somit der Verwesung entgegen-, wirken. Nun war noch wichtig, dass die Gruft über ein ausgeklügeltes Belüftungssystem verfügte, die ausreichend kalte und trockene Luft zirkulieren ließ. Kurz und gut, wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, funktioniert die Mumifizierung auch weitweitwech vom alten Ägypten sehr gut. Hätte ich mal den vielen Besuchern erzählen sollen und dafür einen Euro kassiert…
Kampehl, Koordinaten: 52° 52′ N, 12° 28′ O
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