Posts Tagged ‘Schlesien

26
Dez
14

Mohnkließla

Home is where the heart is, heißt es ja. Aber Heimat sind auch die Gerichte, die man mitbringt, die auf der Zunge das Gefühl von Vertrautem und Geborgenheit vermitteln, oder auch Erinnerungen an die Kindheit, als die älteren Verwandten, vorzugsweise die Großmütter, diese zubereiteten.
Der schlesische Teil meiner Geschmacksknospen verbindet mit Weihnachten die berühmte Weihnachtstunke, die zur Weihnachtstradition meines oberschlesischen Großvaters gehörte. Meine Großmutter, die ja aus Riegersdorf/Podworow stammte, lernte dieses erst nach der Hochzeit kennen. In ihrer Familie gab es, wenn ich mich richtig an ihre Erzählungen erinnere, eher die „Mohnkließla“ zu Weihnachten. Sie bereitete sie als nachmittägliche Speise zu, denn abends wollte mein Großvater seine Tunke haben. Wenn wir dann am 1. Feiertag bei den gesamtschlesischen Großeltern Weihnachten feierten, begleitete uns eine bunte Mischung von Töpfchen und Paketen auf unserem Heimweg von Paderborn zurück in das Weserstädtchen auf der anderen Seite der Egge: immer reichlich Tunke, nur selten Mohnkließla und auch etwas Kartoffelsalat.
Die Mohnkließla erfuhren dieses Jahr eine Renaissance bei mir, denn sie waren ein selbstzubereitetes Mitbringsel von Frau indica, die ich zum schlesischen Abend eingeladen hatte. Sie kennt das Gericht ebenfalls aus dem familiären Umfeld, fand aber bislang niemand, der diese vermeintlich exotischen Gerichte bei ihr kosten möchte. Ich rief gleich laut „JA!“.

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Frau indica hatte das Dessert etwas zeitgenössisch aufgepimpt, denn das Weißbrot war Ciabatta, der Mohn war nicht mit der eigenen Mohnmühle gequetscht, sondern im Bioladen bereits vorgequetscht erworben, nachdem ihr beim Bäcker ihres Vertrauens vom Lehrling versichert worden war, dass es sowas nicht gäbe und die Rosinen bereits am Vortag liebevoll im Rum Sherry (sic!) gebadet.

mohnkloesse

aus: Henriette Pelz: Schlesisches Kochbuch – für bürgerliche Haushaltungen enthaltend leicht verständliche und genaue Anweisungen zum Kochen, Braten, Backen, Einmachen, Pökeln, Räuchern, Getränkebereiten etc. Breslau 1894, S. 125, digitalisat hier: http://digital.slub-dresden.de/id31239277X

Mohnkließla

500 ml Milch
150 g Mohn, (wenn möglich grauer)
5 EL Rosinen
2 cl Rum
8 – 10 Scheiben altbackenes Weißbrot, entrindet
70 g Zucker
50 g gehackte Mandeln, geschälte
50 g gehackte Haselnüsse
nach Belieben
abgeriebene Zitronenschale;
Zimt, Kardamom, etwas gemahlene Nelke (oder Pfefferkuchengewürz)

Zubereitung:
Zunächst den Mohn mit einer Mohnmühle quetschen, die Milch erhitzen, die Hälfte des Zucker zugeben, auflösen lassen. 150 ml der Milch über den Mohn geben, diesen quellen lassen, Zitronenschale und Gewürze nach Belieben dazugeben.
Die Rosinen mit heißem Wasser übergießen, nach kurzer Zeit abgießen, dann mit dem Rum übergießen, ebenfalls quellen lassen.
Unter die Mohnmassen die Mandeln, Nüsse und die Rosinen heben, nochmals mit Zucker und Gewürzen abschmecken.
Die Weißbrotscheiben mit der restlichen Milch tränken, dabei sollen die Scheiben aber nicht zerfallen.
Nun die Weißbrotscheiben und die Mohnmasse abwechseln in eine passende Auflaufform schichten, mit einer Lage Mohnmasse abschließen und einige Stunden, besser noch über Nacht durchziehen lassen.

14
Mai
13

Toast Frankenstein

Elegische Landpartien können hungrig machen, eine Binsenweisheit. Samstags am frühen Nachmittag parkten wir nach Pilgerfahrt und familiärem Flashback am Rande des Marktplatzes von Ząbkowice Śląskie, ehemals Frankenstein. Die Wolken hingen tief, es kalter Maiwind pfiff um die Ecken.
Zunächst wollten wir aber noch das Wahrzeichen der Stadt, den Schiefen Turm anschauen.

Zabkowice Slaskie_01

Zabkowice Slaskie_02

Leider hatte die Annenkirche bereits geschlossen, nur noch der Küster flitzte mit dem Weihrachfässchen über die Gasse.
Bedauerlicherweise hatte sich auch der Rest des Örtchens bereits zum Wochenende zurückgezogen, das „Frankenstein Eiscafé“ bot nur Eis zum Mitnehmen an, keine echte Option bei etwa 12°C und leichtem Regen. Schließlich kehrten wir in eine Pizzeria ein. Bis unsere Bestellung gereicht wurde, entwickelten wir natürlich eine (noch theoretische) umfassende touristische Erschließung des gut erhaltenen Ortes, basierend auf Mary Shelleys berühmter Romanfigur. Wir waren aber wohl nicht die Ersten mit diesen Ideen: offensichtlich hatte auch die Wirtin bei der Dekoration des überbackenen Toasts ihre eigenen Gedanken zum Thema umgesetzt: Garniert mit zweierlei Saucen, die uns an erkleckliche Ekeligkeiten gemahnten….

Zabkowice Slaskie_03

Toast Frankenstein?

11
Mai
13

Home is where the heart is

Eine elegische Landpartie führte mich am vergangenen Wochenende weit nach Südosten, nach Niederschlesien. Ich traf mich mit lieben Freunden und da ich das erste Mal „auf eigene Faust“ in Polen unterwegs war, bat ich darum, dass wir von Prusice aus eine etwas ausgedehntere Tour nach Süden machten. Ich wollte in das Dorf, in dem meine Großmutter 1905 geboren wurde und meine Mutter und ihre Geschwister die Schulferien auf dem Hof ihrer Großmutter, also meiner Urgroßmutter verbrachten. Auch über das Kriegsende 1945 hinaus wollte die Familie bleiben, die Urgroßmutter als Clanchefin hatte das Heft auf dem Hof fest in der Hand, denn inzwischen lebten nicht nur die Familienmitglieder auf dem Hof, die hier die Landwirtschaft betrieben, sondern auch meine Großmutter hatte sich mit ihren vier Kindern hier eingefunden. Mein Großvater hatte sich auch irgendwie auf dem Hof eingefunden, auf jeden Fall war die Familie beisammen, als sie 1946 aufgefordert wurden, innerhalb kürzester Zeit den kleinen Ort und alles, was sie besaßen, hinter sich zu lassen. Irgendwann kamen sie in Altenbeken bei Paderborn an, mit dem Wenigen, was sie auf dem langen Weg mitnehmen konnten. Der Großvater fand sich in einer Dorfschule in Benhausen bei Paderborn wieder, später in Altenbeken oder war es umgekehrt? Die Familie der Großmutter war nahe beieinander geblieben, da rund um Paderborn. Willkommen waren sie allesamt nicht, da im Nachkriegsdeutschland, wo nun die Einheimischen für die Flüchtlinge auch noch Platz machen mussten. Ungeliebt waren sie, wo sie doch noch wenige Jahre vorher mit markigen Worten von Rednerpulten heiser hinabgeschrieen, allesamt zu „Volks- und Schicksalsgenossen“ gemacht worden waren. Daran wollte sich aber niemand gerne erinnern lassen.
Und so wurde Riegersdorf zum Sehnsuchtsort, die Heimat, die nun für sie unerreichbar wurde und zudem nicht mehr Riegersdorf, sondern nun Potworow heißt.

Sehnsuchtsort im Paderborner Wohnzimmer

Sehnsuchtsort im Paderborner Wohnzimmer

Immer, wenn sich die Verwandten trafen, wurde von „zuhause“ gesprochen und niemals das neue Zuhause gemeint, in dem sie nur quälend langsam ankamen. Und auch als die Generation meiner Mutter ihren Weg in der neuen Heimat suchte und mitunter in die neue Umgebung einheiratete, wurde das Zuhause in Schlesien als das einzige beschworen. Zu Weihnachten, zu Geburtstagen und Beerdigungen, wenn wir Kinder bei meinen Großeltern für ein paar Tage zu Besuch waren, immer war Schlesien auch dabei. Wir verstanden diese Traurigkeit natürlich nicht, denn wir waren ja die Generation, die nur in den Frieden und auch in den Wohlstand Westdeutschlands hineingeboren war. Als kleinere Kinder hörten wir den Geschichten wie Märchen zu, obwohl dort keine Prinzessinnen und Königssöhne mitspielten. Später schalteten wir die Ohren auf Durchzug bei den immerselben Erzählungen und Liedern. Heute verstehe ich es, denn nur so konnte die Erinnerung lebendig gehalten werden, denn es gab nur wenige Fotos, an denen man sich festhalten konnte.
Als die Grenzen gen Osten durchlässiger wurden, machten sich Cousinen und Cousins meiner Mutter und eine meiner Großtanten auf, um mit dem Bus in die ehemalige Heimat zu fahren. Sie kamen niedergedrückt zurück, denn nichts war mehr so, wie sie es in Erinnerung hatten, die je weiter sie zurück lag, immer strahlender geworden war. Inzwischen hat sich manches verändert, es sind über die Jahre Kontakte und Bekanntschaften nach Schlesien entstanden, die manches einfacher machen.
Vor einigen Jahren lernte ich eine Kollegin kennen, die in Prusice aufgewachsen war. Unbefangen erzählte ich ihr nach einiger Zeit von meiner Familiengeschichte. Sie reagierte zunächst ablehnend, bis sie mir erzählte, dass ihre Eltern ebenfalls aus ihrer Heimat vertrieben worden waren. Die ihre lag im östlichen Polen, welches heute zur Ukraine gehört. Sie gehörten zu jenen Polen, die dort angesiedelt wurden, wo zuvor die deutschen Vorbesitzer vertrieben worden waren. Aber so ist der Krieg: irgendwer fängt an und setzt damit Ereignisse in Gang, die noch Generationen später ihre Auswirkungen haben. Inzwischen ist sie mir eine Freundin geworden und so war sie gerne bereit, mit mir den Abstecher nach Potworow formerly known as Riegersdorf zu machen. Als ich ihr den Dorfnamen noch einmal nannte, lachte sie aus vollem Herzen, denn ein „potwòr“ ist ein Scheusal oder Monster.
Wie aber würde ich zu dem Hof meiner Urgroßmutter finden? Bei meiner Oma im Wohnzimmer hing das Bild, das sich seit Kindertagen eingeprägt hatte, dankenswerterweise war mein technikaffiner Onkel bereit, mir das Bild des Hofes per MMS nach Polen nachzuschicken. Zudem war ich vorher mit dem Auto von Tante Guugl durch den Ort gefahren und hatte mich digital schon etwas umgeschaut. Nun war ich also da und ehrlich gesagt, doch etwas aufgeregt. Das Auto hielt am Ortseingang und Renata und ich spazierten los. Der zweite Hof links, das musste er sein. Der unbefestigte Weg führte über einen Bach hin zu einem Vierseithof, an dessen Ostseite zwei Arbeiter kleinere Bäume gefällt hatten. Die Freundin begrüßte sie und meinte, dass wir mal schauen wollten, ob wir von hier die Kirche in Bardo sehen könnten. Sie schauten uns misstrauisch nach, denn das weiß doch jedes Kind, dass man nur vom Hügel da hinten am Fußballplatz so weit in das wellige Hügelland schauen kann. Unbeirrt setzten wir unseren Weg fort und bogen zur nach Süden gerichteten Hofeinfahrt ab. Und dann sah ich das Haus, den Sehnsuchtsort meiner Mutter, ihrer Mutter und ihrer gesamten Familie. Die Remisen mit der alten Tordurchfahrt sind dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen, die anderen drei Seiten stehen noch, mehr oder weniger. Das Wohnhaus ist offensichtlich von zwei unterschiedlichen Parteien bewohnt, denn nur eine Hälfte ist in den letzten Jahren geweißt worden.

... vorbeigefahren...

… vorbeigefahren…

Der Blick zu den Hügeln

Der Blick zu den Hügeln

Wohn- mit Backhaus, davor der Baum vom Bild

Wohn- mit Backhaus, davor der Baum vom Bild

Dachlandschaft über Remisenresten

Dachlandschaft über Remisenresten

Wohnhaus, zwiegeteilt

Wohnhaus, zwiegeteilt

Die große Scheune

Die große Scheune

EU-Mittel zur Dorferneuerung, Hoffnung?

EU-Mittel zur Dorferneuerung, Hoffnung?

Lange sind wir nicht geblieben, die beiden Arbeiter schauten misstrauisch nach uns und meckerten Renata an, was wir denn da wollten. Kann ich ja auch verstehen, dass sie nicht erfreut waren, fremde Leute auf dem Hof zu haben. Wir hatten ja nicht wirklich gesagt, warum wir da waren.
So war mein Besuch am Sehnsuchtsort nur ein kurzer. Keine Zeit, innezuhalten, aber auch keine Zeit, um traurig der Trauer und verlorenen Heimat meiner Verwandten willen zu werden. Aber ich weiß nun, wonach sie sich verzehrten. Wo meine Uroma ihr Brot buk, meine Oma als vierfache Mutter wieder Tochter sein durfte, meine Mutter Kind war.
Komisches Zwischendinggefühl. Sehnsuchtsort.
Ihre Heimat, nicht meine. Oder?




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