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07
Nov
14

Lützener Nebel

Jahrestage sind so eine Sache. An manche Tage erinnert man sich gerne, andere Erinnerungsdaten sind mit mehr Nachdenken und Gedenken verbunden. So ein Tag ist der 6. November 1632 gewesen, nach altem julianischem Kalender. Heute wäre es der 16. November, aber in Lützen wird das Gedenken an die Schlacht von 1632 jedes Jahr am 6. November begangen.
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Ich hatte schon davon gehört, dass dies ein sehr feierlicher Anlass sei, der unter Beteiligung von Schweden, Finnen und Balten gefeiert würde, dabei war ich aber noch nie. Aber nun erst einmal eines nach dem anderen. Zunächst einmal zur „Schlacht von Lützen“: wir befinden uns mittem im Dreißigjährigen Krieg, seit 1630 mit schwedischer Beteiligung. Über die Gemengelage, wer warum wieso und wann in den Wahnsinn eingestiegen ist, kann ich hier nicht ausführen, darüber lassen sich seit bald 400 Jahren Gelehrte und andere Historiker in ganzen Bibliotheken voller Bücher aus, nur soviel: es war nur am Rande ein Religionskrieg, auch wenn ich das gestern häufiger gehört habe. Aber steigen wir mal ein paar Wochen vor der Schlacht in die Berichterstattung ein: die schwedische Armee unter ihrem charismatischen König Gustav II. Adolf lag mit dem kaiserlichen auf der Gegenseite unter dem Generalissimus Albrecht Wenzel Eusebius von Wallenstein vor Nürnberg fest. Die Belagerung und die Erzwingung einer militärischen Entscheidung war etwas schief gelaufen für den Schwedenkönig, beide Armeen bereiteten sich schon fast auf den Abzug in die verschiedenen Winterlager vor. Damals wurde nämlich während des Winters im Prinzip nicht gekämpft, nur um’s Überleben. Daher trennten sich auch die Heere in kleinere Verbände und verteilten sich über die verschiedenen Regionen in Mitteleuropa, um diese gründlich „leerzufressen“. Und so begann eine Art Katz- und Mausspiel zwischen den schwedischen und kaiserlichen Truppen samt ihren Verbündeten, ob es denn noch einmal eine Möglichkeit einer offenen Feldschlacht geben würde. Beide Truppen zogen gen Kurfürstentum Sachsen, Wallenstein setzte sich bei Weißenfels, Gustav Adolf bei Naumburg fest, wieder sausten die Spione und Kundschafter hin- und her, ob irgend etwas passieren würde. Schließlich gab Wallenstein den Befehl, dass sich seine Truppenteile in unterschiedliche Richtungen in ihre Winterlager aufmachen sollten. Auf den Moment hatte Gustav II. Adolf gewartet: kaum war er sicher, dass soviele Truppen abgezogen waren, dass er einen Angriff wagen konnte, setzte er sein Heer in Bewegung. Von Weißenfels bis Lützen sind es nur ein paar Kilometer, die Gegend ist fast pfannkuchenflach, nur ein kleines Flußtal ist zu überwinden, um auf den perfekten Platz für eine Feldschlacht zu gelangen. Der Überraschungsangriff gelang nicht ganz, aber in der vermutlich kalten Nacht vor dem 6. (16.) November verbrachten beide Truppen kampfbereit in der Nähe des späteren Schlachtfeldes, am nächsten Morgen standen dann ab etwa 10 Uhr alle bereit, aufeinander loszugehen.
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Der schwedische König ritt sein teures Pferd Streiff irgendwo bei der Kavallerie in der Mitte des rechten Flügels. Was nun genau geschah, warum der König im Kampfgetümmel von seiner Leibgarde getrennt wurde und mitten in die feindliche Reiterei geriet, wird sich wohl nicht mehr herausfinden lassen, ob es der berühmte „Lützener Nebel“, der wieder wie aus dem Nichts entstanden sein soll (schwedische Redensart bis heute!) oder schlichtweg der Pulverdampf aus den abgefeuerten Waffen oder die Kurzsichtigkeit des Königs oder sein Pech war? Kurze Zeit später war er von einer Musketenkugel am Arm, mehreren Pistolenschüssen aus nächster Nähe und von mehreren Stichen von Blankwaffen getroffen, lag am Boden und starb. Und noch schneller waren die Plünderer aus den kaiserlichen Reihen da: bis heute fehlen sein goldener Siegelring, die Halskette, die Uhr, seine Stiefel und die Sporen. Seine berühmtes Elchkoller, eine Art kurzer Reitjacke aus dickem Elchleder wurde bis nach dem 1. Weltkrieg als Trophäe in Wien aufbewahrt, dann aber aus Dankbarkeit für humanitäre Hilfe Schwedens in den Hungerjahren nach dem 1. Weltkrieg zurück gegeben. Die Leiche des Königs wurde erst etwa eine halbe Stunde, nachdem er verschwunden war, gefunden und geborgen, bis auf’s letzte, vorletzte und vorvorletzte Hemd geplündert (es war ja kalt und der König trug drei Hemden übereinander). Der Leichnam wurde hinter die schwedischen Linien in das nächste Dorf nach Meuchen in die Kirche gebracht und dort notdürftig gereinigt, später nach Weißenfels, dort nach allen Regeln der damaligen Kunst einbalsamiert und für den Rücktranksport nach Schweden vorbereitet. Der Leichenzug ging über Wittenberg, über Spandau, Eberswalde, Prenzlau bis nach Wollgast, wo er noch im Dezember 1632 ankam, Streiff war noch dabei, lebend! Bis die königliche Leiche von dort aus weiter gen Stockholm reiste, wurde es Juli 1633. Hier macht mein Kopfkino immer eine dezente Ausblendung und schaltet erst wieder ein, als der massive Marmorsarkophag in Stockholm in der Ridderholmskyrkan hinter dem barocken Gitter verschwindet. Gustav II. Adolf wird somit endgültig zur Ikone der Protestanten.
Aber zurück zum Schlachtfeld: militärisch gesehen gab es eine eindeutiges Unentschieden, was sich nur deswegen zum Sieg der verbündeten schwedischen Armee auswuchs, weil die kaiserlichen Verbände als erste das Schlachtfeld verließen. Wer bleibt, hat gewonnen! Viele tausend Soldaten verloren an dem Tag ihr Leben, man geht von mindenstens fünftausend aus, noch viel mehr erlitten Verletzungen, an denen sie aufgrund mangelnder medizinischer Versorgung noch Wochen später starben.
Tja, und der Tag jährte sich gestern. Zufällig geriet ich in Meuchen in den protestantischen Gedenkgottesdienst, anschließend wanderten meine Begleiter und ich von Meuchen aus über das Schlachtfeld, dort, wo vor 382 Jahren die schwedische Armee und ihre Verbündeten auf etwa 2,5 km Breite ihre erste Aufstellung genommen hatte. Es war ebenso leicht nebelig mit kurzen Sonnenaugenblicken wie 1632, nur die Wildgänse waren erheblich friedlicher und angenehmer als die Soldaten damals.
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Wir liefen bis zur Gustav-Adolf-Gedenkstätte, die in der Nähe seines mutmaßlichen Todesortes seit dem 19. Jahrhundert entstanden ist. Hier war dann gerade der zweite Teil des Gottesdienstes gerade beendet und wir kamen gerade rechtzeitig an, um aus gebührender Entfernung die Vertreter der schwedischen, finnischen und estnischen Botschafter, Stiftungen und Schulen zu beobachten, die hier Kränze niederlegten. Es wirkte etwas so, als sei der König erst kürzlich verstorben.


Kurioserweise wurden wir sogar zum Empfang eingeladen, der in Lützen selber stattfand, der schließlich in der „Schlacht am Kuchenbüffet“ endete, irgendwie charmant, irgendwie auch ein wunderliches Erlebnis.
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