Wo immer ich meinen Hut hinlege, da bin ich zuhause… Dazu habe ich schon einmal hier ein paar Worte geschrieben. Nun kommen noch ein paar zu meiner persönlichen Hutablage dazu: ich wohne in einem dieser typischen Berliner Mietshäuser, die ein Vorderhaus, einen Seitenflügel und ein Hinterhaus haben. Und dazwischen liegt der mehr oder weniger nette Hof oder eventuell auch gleich mehrere hintereinander, was ursächlich mit der Zahl der Seitenflügel und Hinterhäuser zu tun hat. Kurz und gut: mein Hof ist nett, auf dem unsere Nachbarin Heidi ihre Herrschergelüste verwirklicht, denn eigentlich darf niemand außer ihr selber etwas in den Hofbeeten anpflanzen. Mein zaghafter Versuch mit ein paar Erdbeerpflanzen wurde verbal freundlich, danach praktisch gärtnerisch niedergemacht, aber ich wusste damals noch nicht um ihre Hoheitsrechte. Immerhin sorgen zwei pechschwarze Hofkatzen hoheitsvoll für die Rattenfreiheit.
Das Nachbarhaus ist eines der wenigen hier in der Ecke, die noch nicht renoviert, saniert und teuer wiedervermietet oder gar eigentumsbildend verkauft wurden. Mein Fenster vom Hof geht von der Küche aus und bietet fast so etwas wie einen Logenplatz, denn vom 4. Stock kann man gut in alle Fenster schauen. Wem das nicht recht ist, dass der Nachbar schaut, hängt Blickdichtes hin.
Seit genau 10 18 34 Tage lang fesselet etwas ganz ungemein meine Aufmerksamkeit:

06.07.09: Hemden, rumhängend
Nun ja, es sind vier weiße Hemden, die gebügelt im offenen Fenster hängen. An sich wäre das nicht ungewöhnlich, wenn sie genau so nicht schon seit zehn Tagen dort hingen! Tag und Nacht, bei Regen und Sonne, seit 10 Tagen.
Das eine ist sogar eines mit Knopflöchern für Manschettenknöpfe, es hängt auf einem hölzernen Kleiderbügel (Stöckchen für Lakritze!).

08.07.09: Hemden, bei leichter Sonne rumhängend
Was ist bloß mit dem Hemdenträger passiert oder mit der BüglerIn?
Also, er oder sie könnte unvermutet im Lotto gewonnen haben und zwar so viel, dass er oder sie spontan beschlossen hat, alles (also das ganze Leben & Berlin) hinter sich zu lassen, fürderhin nur noch ungebügelte Kokosnussschalen und Baströckchen resp. Eisbärenfelljacke über Seehundfellhosen zu tragen. Das wäre die für den/die sonstigen BüglerIn angenehmste Geschichte.
Als Variante könnte man sich vorstellen, dass er oder sie beschlossen hat, nie mehr zu bügeln und so dem Protest eine sichtbare Note verleiht: „Seht her, ich kann bügeln! Aber ich werde es nie wieder tun!“
Nun kommen die unangenehmeren:
Er/Sie hat sich am Bügeleisen verbrannt, ab in die Notaufnahme und dort seit 10 Tagen => unwahrscheinlich, so lange bleibt man mit einer bügeleisenförmigen Brandwunde nicht im Krankenhaus.
Er/Sie wurde vom Hemdenträger umgebracht, weil das letzte Hemd nicht schön genug gebügelt war. Wenn dem so war, kann das Mordopfer nicht in der Wohnung liegen, sonst wären schon, (verzeiht, es ist ekelig) große schwarze Vögel da, die sich am Leichnam laben würden und kleine Krabbeltiere. Letztere sehe ich natürlich nicht von meinem Küchenfenster.
Was wohl passiert ist? Bin ich zu neugierig??
Gerade regnet es wieder, das Fenster steht offen, leise blähen sich die Hemden im Wind……

10.07.09: Hemden, bei Regenschauer rumhängend, ca. 13 Uhr.

11.07.09: Hemden, in der Dämmerung rumhängend, ca. 21.39 Uhr
Neuigkeiten am Fenster: Und wieder sind ein paar Tage vergangen, aber heute scheint Bewegung in die Sache zu kommen, nein, nicht in die weißen Hemden. Die hängen weiter wortlos herum, aber sie haben kurzzeitig Gesellschaft gehabt.

15.7.09: Gemeinsam rumhängen, nun auch in roter Gesellschaft (s. links)
Es ist Freitag abend, nach dem Gewitter ist es wieder ruhig im Hof geworden, aus einem Fenster schallt vielstimmig eine der wunderbaren Damen-Combos der 1960er Jahre, ein Sommerabend…

17.07.09: Hemden, im Fastdunklen herumhängend, leise zur Musik mit dem linken Ärmel wackelnd.
Heute morgen, als ich aufstand, hingen die Hemden noch so, wie ich sie heute nacht, als ich gen Schlafstatt strebte, im schalen Schein der Berliner Nacht gesehen hatte. Zugegebenermaßen habe ich nicht soviel Zeit wie eine echte Miss Marple, die diese 19 Tage lang auf der Lauer gelegen hätte, um den genauen Zeitpunkt nicht zu verpassen, an dem die Hemden sich endlich bewegen. So war ich ganz erschrocken, als mein Besuch die Veränderung am Fenster gegenüber bemerkte, die ich versäumt hatte.

19.07.09: Hemden, nach Platzwechsel erneut rumhängend
Ein Teil der Hemden scheint nun in Gebrauch zu sein, der Besitzer scheint wieder aufgetaucht. Er kam in grauer Jogginghose, hinterließ diese auf dem Fensterbrett und muss wohl in das Manschettenknopfhemd geschlüpft sein. Ich hoffe natürlich, dass er auch ein adäquates Beinkleid dazu trägt.
Mal schauen, wie lange die Jogginghose im Fenster rumliegt.

23.07.09: Hemd hängt rum, Jogginghose hängt ab.

23.07.09: Hemd hängt rum, Jogginghose liegt rum im Abendlicht.
Und wieder senkt sich der Abend über den Hof, alles hängt und liegt an Ort und Stelle.

26.07.09: zwei Hemden hängen noch, die Jogginghose liegt auch noch rum.
Heute ist der 4. August und ich habe beschlossen, die öffentliche Fensterbeobachtung einzustellen, denn die weißen Hemden und auch die Jogginghose sind endlich in’s Innere der Wohnung zurück gekehrt. Als ich heute morgen den noch schlaftrunkenen Blick über den Hof schweifen ließ, sah ich es:

04.08.2009: keine weißen Hemden mehr, die rumhängen
Die langwierigen Untersuchungen, nächtlichen Beschattung der weißen Hemden haben ein Ergebnis erbracht: ihr Mensch scheint ein unorthodoxes Lüftungsverhalten und ein offensichtlich ein Platzproblem (resp. keinen Schrank) zu haben. Kein Mord, keine Geheimnisse um die Hemden. Schade eigentlich!
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