Und wieder war eine liebe Besucherin bei mir, die sich ein kulturelles Programm gewünscht hatte. Kein Problem, auch wenn wir am Sonntag eher die „Work-out“-Variante voranstellten und dann am Montag vor dem Problem der geschlossenen Museen standen. Im Grunde ist es ja kein echtes Problem, da dennoch genügend Alternativen zur Verfügung standen. Somit machten wir uns nach Potsdam auf, um die Ausstellung „Friederisiko“ anzuschauen, die anlässlich des 300. Geburtstages Friedrichs II. von Preußen alias „der Große“ im Neuen Palais zu bestaunen ist.
Die Sorge, in einer langen Schlange um Karten anstehen zu müssen, erwies sich als unbegründet, denn angesichts der gen 30°C steuernden Quecksilbersäule blieb ein Massenansturm aus. Rasch erwarben wir für je 14 € die Eintrittskarten, griffen das Heftchen mit den Exponatbeschriftungen, legten den im Preis inbegriffenen Leih-Audioguide um und wurden zum grünen Eingang geschickt. Für die Ausstellung gibt es drei unterschiedlich farbige Eingänge an unterschiedlichen Ecken des Palais, unserer war also der nördliche, grüne. Freundliche Aufsichtskräfte ließen uns ein, weitere freundliche Menschen halfen den Besuchern bei der ersten Orientierung im Gebäude.
Ansonsten rigide Besuchervorschriften: Keine Speisen, keine Getränke ist für mich immer nachvollziehbar, dann folgt bedauerlicherweise das Foto- und Filmverbot. Natürlich finde ich es in Ordnung, wenn der Rest der Welt nicht filmen und fotografieren darf, aber für mich könnte man doch eine Ausnahme machen, oder? Ich fotografiere auch immer ohne Blitz! Aber nein: Nix da!
Wie schon im Begleitheft angekündigt, gibt es keinen festen Rundgang, was angesichts dreier Eingänge in verschiedenen Bereichen des Palastes durchaus sinnvoll scheint. Aber dennoch hat es auch bei mir als geübtem Museumsbesucher ein Weilchen gedauert, bis ich mich zurecht gefunden hatte. Leider habe ich erst nach Durchwandern der Hälfte des Erdgeschosses begriffen, dass es für Kinder separate Texte im Hörführer gab, deren Nummern auf den seitlich an den Textkästen hängenden Papp-Schlüsseln vermerkt sind. Diese Kindertexte sind zum Teil sehr ideenreich und liebevoll komponiert und eingesprochen, so dass ich mich immer mal wieder bemüht habe, sowohl die für die kleinen Besucher als auch die für die Erwachsenen durchzuhören. Die Ausstellungsmacher haben bewusst auf einführende Texte in Druckform verzichtet, vor den hohen Fenstern hängen schwach durchscheinende Stoffbahnen mit zeitgenössischen Zitaten zum jeweiligen Thema des Raumes, die mich oftmals zum Grinsen anregten. Ein Grund für den weitgehenden Textverzicht schien mir, den Raumeindruck des historischen Gebäudes so wenig wie möglich zu verstellen. Denn auch das wurde mir erst nach einer Weile klar: das größte Exponat ist das Neue Palais selbst, wie Friederich etwas indifferent, was den Stil angeht, eigentlich zur Bauzeit schon aus der Mode, nur in Preußen nicht, bei dem Herrscher, der Louis XIV. bewunderte und Louis XV. verabscheute. Die Besucher werden über auberginefarbene Paneelen wie auf Laufstegen durch die Räume geführt, damit der kostbare Bodenbelag von Highheels und Turnschuhen verschont bleibt, die guten alten Filzpantoffeln haben ausgedient!
Nun gut, wir stürzten im Erdgeschoss gleich in die Abteilung „Dynastie“, in der Bilder der weitläufigen Verwandtschaft Friederichs gezeigt werden, wie der Audioguide nett erläutert: „Es ist fast wie ein Stehempfang…“ Über mehrere Räume verteilt lernen wir die ältere Schwester Wilhelmine, die ungeliebte Gattin Elisabeth Christine oder die jüngere Schwester Amalia kennen, die für ihren Bruder die Gastgeberin im Neuen Palais gibt. Nichts aufregendes, nichts, was den Besucher zur aktiven Beteiligung einlädt. Einen Bildschirm mit einer Präsentation der Verwandtschaftsverhältnisse habe ich gesehen, mehr nicht.
Wir laufen weiter durch die Abteilungen „Horizonte“, hier durch den Grottensaal, den Friedrichs Baumeister als architektonische Kopie berühmter Bauwerke in Italien, dem fernen Osten und England gefertigt haben. Eine für Menschen des 20./21. Jahrhunderts ungewohnte Wanddeko aus Muscheln, Austern und Mineralien und das noch „all-over-ornamented“ (aka „horror vacui“!). Ich persönlich würde solch eine Wanddekoration nicht haben wollen, aber das möge nur als Bemerkung am Rande verstanden sein. Weiter ging es durch eine Galerie antiker Marmorstatuen, die teilweise im 18. und 19. Jahrhundert zu vollständigen Figuren ergänzt worden waren, wieder ein Hinweis auf Friederichs Ansicht, sich mit antiken Helden irgendwie auf eine Stufe stellen zu können. In der sich anschließenden Marmorgalerie stehen in einzelnen Tischvitrinen Tafelaufsätze aus Gold und Silber, aufwändige Vasen aus Meißner Porzellan und Kronleuchter aus Bergkristall. An den Tischvitrinen hängen kleine Täfelchen, auf denen der Preis für die Preziosen zusammen mit einem Vergleich einer Dienstleistung oder für Waren des täglichen Lebens vermerkt ist. Endlich einmal kommt die Ausstellung im Leben der „normalen Menschen“ an, sonst darf der Besucher nur staunen. Und auch das darf er in den nächsten Räumen, in denen es um das „Tagesgeschäft“ geht: Friederichs Tagesablauf ist das Thema. Sein Tag begann um halb sechs morgens und bereits um halb zehn abends fuhr der Preußenkönig zu Bette. Der Tag war durchgeplant, auch das Flötespielen und das allabendliche Konzert hatten feste Zeiten. Wir gleiten durch die „blaue“ und die „fleischfarbene“ Kammer, beides Warteräume für Besucher des Königs, und gelangen über das Konzertzimmer in die „rosa Kammer“, ein Arbeits- und Empfangszimmer bis hin in die Schlafkammer des Königs, in der er auf einem Reisebett geschlafen haben soll. Ein Ankleideraum gab es nicht, das erledigte der König höchstselbst. Wenig zurückhaltend war Friederich offensichtlich bei den Ausgaben für Essen und Getränke: seine Vorliebe für Früchte war so groß, dass auch im Winter Obst in großer Menge vorgehalten werden musste, aber nicht der Apfel aus dem Havelland, sondern Süßkirschen, Melonen und Pfirsiche, deren Beschaffung extrem kostspielig war.
Auch die „Verhältnisse“, Friedrichs Freundschaften im Laufe seines Lebens, sind Thema einer Abteilung. Hatte er als Kronprinz in Rheinsberg noch einen Kreis von Freunden um sich, erfährt er als König tiefgreifende Änderungen, ausgelöst durch seine oft herrische und überhebliche Art: Freunde fliehen aus Preußen oder sterben irgendwo auf dem Schlachtfeld. Am Ende seines Lebens ist Friederich ein einsamer alter Mann, der lieber seine Hunde und sein Pferd um sich hat. Das Skelett seines letzten Lieblingspferdes Condé steht als Exponat in voller (Lebens-)Größe in einer Vitrine!
An „Risiko und Ruhm“, die Teile der Ausstellung, in der es auch um die Kriege Preußens geht, sind wir schlichtweg im gleißend gelben Treppenhaus vorbei gelaufen. Wahrscheinlich brauchten wir eine Pause, die wir im kleinen Schlosstheater im Obergeschoss in Form eines kleinen Barockkonzertes bekamen. Eine halbe Stunde lang spielten zwei Solisten des brandenburgischen Kammerorchesters Stücke aus Friederichs Zeiten, sehr schön erläutert von einem der beiden. Ansonsten ist das Pausemachen etwas schwierig, es gibt zwar Sitzgelegenheiten in den Räumen und natürlich auch im Treppenhaus, aber in dem historischen Palast natürlich kein Café. Packt einen Hunger und Durst, gibt es nur eins: hinaus aus der Ausstellung. Im Ticket-/Shopzelt werden kalte Getränke und Eis verkauft. Sitzmöglichkeiten Fehlanzeige. Am südlich gelegenen Eingang zum Palaisbereich haben wir beim Hinausgehen dann aber doch eine Art mobiler Biergarten entdeckt, zu spät!
Das Obergeschoss hat von uns noch einmal alles ab verlangt. „Europa und die Welt“: Frankreich, Russland, Österreich, Großbritannien… Und hier war dann endlich ein guter alter Bekannter von mir: James Keith alias Jakob Keith und sein Hut, der ihm in der Schlacht von Hochkirch vom Kopf fiel! Und die Briten mochten Friederich so, dass eine Weile „King of Prussia“ ein beliebter Pubname war – eine Info aus dem Audioguide…
„Königsbilder“: wie wurde der König zum „alten Fritz“? Hier hat mich die Totenmaske des 74-jährigen mit den scharfen Gesichtszügen doch sehr berührt, die so anders ist als die vielen Bilder, die bekannt sind. Das einzige Exponat in der Ausstellung, vor dem ich wirklich lange stehen geblieben bin!
In der Abteilung „Körper und Seele“ wurde das Thema der Vater-Sohn-Beziehung aufgegriffen, aber auch das der sexuellen Präferenz des Königs endlich beantwortet. Angenehm ruhig und unaufgeregt wird dem Besucher erklärt, welche Bedeutung bestimmte Themen der griechischen Antike erfahren, wenn es um die gleichgeschlechtliche Zuneigung oder Liebe im 18. Jahrhundert ging. Und dass es Friederichs Zeitgenossen ziemlich klar war, dass des Königs Herz niemals heiß für Frauen schlug. „Zum äußersten“ sei es aber vermutlich nie gekommen. Woher die Ausstellungsmacher das zu wissen meinen, haben wir nicht erfahren.
„Im Wettstreit“ mit Europa stand Preußen auch im Hinblick auf Seiden- und Möbelherstellung, in Theater-, Opern- und Tanzaufführungen, am Ende steht der preußisch-friederizianische Stil mit einer Mischung von Altem und Neuem, rückwärtsgewandt und nach vorne blickend auf einmal.
Bei unserem Rundgang bin ich dann bei der „Entwicklungspolitik“, der Abteilung zur friederizianischen Aufklärung, Innen- und Wirtschaftspolitik leider museumskonditions- und aufnahmetechnisch in die Knie gegangen: meine optischen und akustischen Speicher waren dabei überzulaufen.
Tja, mein Fazit: „Friederisiko“ ist eine Ausstellung für Besucher, die mit den Grundzügen neuzeitlicher Geschichte Preußens und Mitteleuropas vertraut sind, sich auf die Person des bekanntesten Preußenkönigs und sein von ihm selbst geschaffenes Abbild einlassen wollen und bereit sind, sehr viel Inhalt zu schlucken. Ich persönlich habe den Ausstellungstitel nicht verstanden, möglicherweise wäre er mir in der Abteilung zu den preußischen Kriegszügen klar geworden.
Gefreut habe ich mich über das freundliche Aufsichtspersonal, welches immer für einen Schwatz zu haben war!
Dass es kein Gästebuch für Kommentare der Besucher gibt, fand ich schade, so konnte ich meine lobenden Worte nirgendwo loswerden.
Achja, es empfiehlt sich, mit den öffentlichen Verkehrsmiteln anzureisen, für die Auslöse des Parkscheins hätte ich glatt einen halben Liter Bier in Stavanger am Hafen kaufen können. Ab dem Potsdamer Hbf gelangt man mit der Buslinie 606 (Richtung Potsdam – Golm) auch zum neuen Palais.
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