Die erste elegische Landpartie im neuen Jahr sollte mich nach Havelberg führen, bedauerlicherweise nicht mit genügend Zeit, um durch das kleine Städtchen zu schlendern, in Ruhe den Dom anzuschauen. Ja, Havelberg hat auch eine Domkirche, denn einst war es Bischofssitz.
Aber soweit sind wir noch nicht. Ich bin ja bekennende Anhängerin von Land- und Straßenkarten auf Papier, die im Idealfall in meiner Tasche oder auf meinen Knien ruhen, so dass ich als analoge Navigatorin ansagen kann, wo es denn „lang geht“. Als digitale Form der Karte benutze ich bei Touren in Städte aber auch gerne das mobile Telefon mitsamt der heruntergeladenen Karten, sozusagen als Zwitter zwischen Papier und Navi an der Frontscheibe.
Die Fahrt nach Havelberge sollte nun mit dem digitalen Anzeiger/-sager vonstatten gehen. Die beiden Mitfahrer hatten sogar jeweils ein eigenes Gerät dabei, so dass gar zwei zur Auswahl standen. Ich setzte mich auf die Rückbank und ließ mich fahren, auch mal schön.
Bis Magdeburg und ein bisschen darüber hinaus nach Norden glitt der Wagen über die Autobahn, dann über die Bundesstraße. Ich schaute aus dem Fenster und kümmerte mich nicht weiter. Irgendwann bremste der Fahrer und bog auf eine kleine, wirklich kleine Landstraße nach links ab. Aha, das Navi hatte offensichtlich meinen Wunsch nach „elegischen Landpartien“ gespürt und führte uns nun über kleine Dörfer, Alleen, vorbei an Seen und hinter Traktoren und radelnden Rentnern her. Noch ein Dorf, noch ein paar hundert Meter asphaltierte Straße und wir standen direkt an der Elbe. Der Fluss führt derzeit viel Wasser, so dass er ordentlich breit ist. Am gegenüberliegenden Ufer bei Sandau lag die Fähre am Ufer, der Fährmann wartete offensichtlich noch auf zahlende Kundschaft.
Zeit, auszusteigen, den Fotoaaparat aus der Tasche zu ziehen und meine erste „elegische Landpartie“ am nördlichen Zipfel Sachsen-Anhalts, schon in der Prignitz, auf die Speicherkarte zu bannen. Ich bin ja selber ein „Flusskind“, auch wenn mein Heimatfluss, die Weser in ihrem oberen Lauf eher klein im Vergleich zur Elbe hier ist, aber ich könnte stundenlang am Strom stehen und schauen. Der Fährmann hatte es offensichtlich auch nicht zu eilig, was dem Rentnerpärchen mit ihren Fahrrädern mit Elektrounterstützung gar nicht gefiel. Ein Tässchen Tee aus der mitgeführten Thermoskanne schmeckte mir hervorragend, während ein großes Binnenschiff mit dem Strom an uns vorbeizog. Nachdem die Fahrrinne frei war, setzte der Fährmann seine Gierseilfähre in Bewegung. Durch die Strömung wird das Gefährt an einem langen Seil, welches stromaufwärts im Fluß verankert ist, über den Fluss geschoben. An Bug und Heck sind Verbindungsseile zum Hauptseil angebracht, die durch Einholen und Nachgeben das Boot in unterschiedliche Winkel zu Strom stellen kann. Je nach Winkel drückt die Strömung die Fähre also hin und her über den Fluss.
Entschleunigung…
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Fährmann, hol über!
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Weihnachtstunke
Meine Großeltern kamen aus Schlesien, aber aus den zwei entgegengesetzten Ecken: der Großvater aus Oberschlesien, aus der Gegend um Oppeln/Opole, meine Großmutter aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Wartha/Bardo. Sie haben wenig mehr als ihre vier Kinder, von denen eine meine Mutter werden sollte, mitgebracht, als sie im 1946 in Altenbeken bei Paderborn landeten. Aber meine Oma und die anderen Frauen der Familie hatten ihre traditionellen Rezepte dabei, nicht aufgeschrieben, sondern im Gedächtnis. Und besonders in der Weihnachtszeit wurden diese Gerichte zubereitet, die für sie den Geschmack von Zuhause hatten, dem sie den Rest ihres Lebens hinterhertrauerten. So stand mich als Kind das leicht Bittere des Bockbieres in der „Weihnachtstunke“ stets mit den bitteren Geschichten um den Landstrich verbunden, um den sie trauerten, den ich bis heute nicht kennen gelernt habe. Als ich vor einigen Jahren eine Kollegin kennenlernte, die nicht weit von dem Heimatort meiner Oma aufgewachsen war, meinte ich ganz begeistert und ohne den geringsten Hauch von „Schlesien bleibt unser“ im Hinterkopf, dass ich dort gerne einmal hinfahren würde, um zu sehen, wo meine Mutter ihre Sommerzeit als kleines Kind verbracht hatte. Ich war allerdings sehr erschrocken, als sie mich sehr brüsk fragte, warum mich das interessierte und dass es doch nun polnisch sei. Es dauerte eine Weile, bis ich aus ihr herausgefragt hatte, dass ihre Eltern auch noch nach so langer Zeit Sorge hatten, mit Schlesiern um irgendwelche Ansprüche streiten zu müssen. Sie waren selber als Flüchtlinge aus dem Ostpolnischen, welches nach dem 2. Weltkrieg zu Russland geschlagen wurde, vertrieben worden und in Schlesien angesiedelt. Für das kommende Jahr habe ich mir die Reise fest vorgenommen, mal schauen…. (Nachtrag: es wurde 2013: Home is where the heart is)
Die „Weihnachtstunke“ wurde am Heiligabend bei meinen Großeltern zu Weißwürsten, zu Sauerkraut und Salzkartoffeln gereicht, für uns, die wir erst am 1. Feiertag nach Paderborn zu den Großeltern fuhren, gab es die Tunke im mitgebrachten Topf durch das Fenster des rückfahrbereiten Autos gereicht. Mein Vater mochte sie nicht und versuchte Jahr für Jahr die Übergabe durch eine flotte Abreise zu vereiteln, in der Regel vergeblich. Nachdem mein Großvater gestorben war, wollte meine Oma sie nicht mehr zubereiten, hier sprang dann Tante Inge in die Bresche, so dass auch die nächsten Jahre die Tunke nach Weihnachten bei uns zu Hause verzehrt werden konnte. Schließlich brach ihr Mann mit der Tradition des mündlichen Überlieferung und schrieb das Rezept in seiner feinen Lehrerschrift auf und kopierte das Blatt für Söhne, Töchter, Nichten und Neffen. Ich klebte die Seite in meine Kladde, in der die Rezepte aus der Prä-Internetzeit gesammelt sind.
Inzwischen koche ich diese Tunke selber, sie fällt jedes Jahr ein wenig anders aus, mal mehr, mal weniger bitter. Dieses Jahr habe ich sie zur Freude meiner Schwester und von Frau Vau (bei ihr ist ganz sicher auch irgendwo ein schlesischer Vorfahr dabei) wieder zubereitet und wir haben sie gestern in vertrauter Runde mit schlesischer Weißwurst, Sauerkraut und Kartoffeln verspeist.
Genug der Geschichten, hier ist das von meinem Patenonkel schriftlich erfasste Rezept, welches eine ordentliche Menge dieser Soße ergibt.
Schlesische Weihnachtstunke
1/2 kleine Sellerieknolle
3 Pastinaken (in der mündlichen Überlieferung wurden sie immer „Pasternak“ genannt)
3 Petersilienwurzeln
1 EL Salz
1 Lorbeerblatt
10 Pfefferkörner
5 Pimentkörner
4 Nelken
200 g Pfefferkuchen oder Soßenkuchen (ich habe endlich „meinen“ gefunden, es ist der „Leopold“ aus dem oberfränkischen Weißenstadt, der ist deutlich schmackhafter als der Chemnitzer, wer weder den einen noch den anderen findet, kann auch den „Frühstücks- oder „Kandiskuchen“ nehmen)
0,3 l Bockbier, helles
100 g Haselnüsse
100 g Mandeln
1 Zwiebel
100 g Rosinen
Malzbier, Rotwein, Zitronensaft zum Abschmecken und „Verlängern“.
Zunächst das Gemüse in feine Würfel schneiden, in wenig Wasser mit dem Salz und den Gewürzen bissfest kochen.
In der Zwischenzeit den Soßenkuchen im Bier einweichen, die Nüsse und Mandeln grob hacken, die Zwiebel sehr fein würfeln.
Dieses alles zum Gemüse geben, und leicht durchziehen lassen. Vorsicht, das Ganze brennt leicht an! Nun mit Rotwein, Malzbier, Zitronensaft abschmecken. Die Mengen sind variabel, eher mehr Rotwein und Malzbier (je ca. 1 Tasse), wenig Zitrone.
Die Konsistenz ist durch den Soßenkuchen/Pfefferkuchen schon relativ dickflüssig, nach meinen Erfahrungen muss die Tunke auch so sein. Beim Abschmecken darauf achten, dass das Bittere des Bieres nicht verloren geht, aber durch den Pfefferkuchen, die Rosinen und evt. Zucker auch ein leicht süßliches geschmackliches Gegengewicht erhält.
Im Sauerkraut habe ich noch ein zwei Äpfel aus dem Tantengarten versteckt, die Kartoffeln gab es gestern als Kartoffelbrei und als Salzkartoffel, die Weißwürste werden zuerst gebrüht, dann noch goldbraun in Butter ausgebraten.
Kulinarisches Erinnerungsengramm!
Fund des Monats
Gerade komme ich aus Ostwestfalen zurück, wo ich zusammen mit meiner Schwester Gutes im Garten unserer Tanten vollbrachte: Apfelernte! Es wurde auch Zeit, denn nun sind auch die späteren Sorten reif! Da lachten uns von fünf hochstämmigen Bäumen, in den 1930ern von unserem Großvater gepflanzt, noch Boskoop, Gülderling und Goldrenette von Blenheim an. Der Cox Orange und die Rote Sternrenette waren leider schon abgeerntet. Gerade letzterer ist mein allerliebster Lieblingsapfel, der „Nikolausapfel“. Schade, dass nichts mehr davon am Baum hing.
Die Tanten haben den kühlen Keller schon voll duftender Äpfel liegen, gerade diese drei Sorten eignen sich gut für die Lagerung bis in’s Frühjahr, kontrolliert müssen die Stellagen mit dem Obst, auch wenn es Pflückobst ist, regelmäßig.
Meine Schwester hatte vor zwei Wochen schon einmal die Nachbarbäume geschüttelt und etwa 80 kg aufgesammelt. Als Ausbeute nach dem Mosten in Ockensen schleppte sie dann 65 l feinsten kaltgepresster Apfelsafts nach Hause!
Nun hatten die Äpfel noch eine Menge guter Oktobersonne getankt, bis wir dann gestern uns mit Apfelpflückern und Stangen zum Schütteln bewaffnet in den noch leicht nebligen Morgen aufmachten und die Grundlage für einen schönen Vorrat an Obst auf der einen Seite und die Basis für einen merklichen Muskelkater im Schultergürtel und den langen Muskelsträngen im Rücken legen wollten. Eimer und Eimer füllte sich und wir entschlossen uns, auf den großen „Bollerwagen“ als Zwischenstation für die runden Dinger umzusteigen.
Für die Schüttelei war gestern meine Schwester verantwortlich: meine Tanten haben seit einigen Jahren eine etwa 5 m lange Stange aus Leichtmetall mit einem Haken an der Spitze, die ein Nachbar für sie gebaut hat, die jeder Pike im Dreißigjährigen Krieg, zumindest in der Länge zur Ehre gereicht hätte! Aber jene Stangenwaffen wurden vermutlich eher selten zur Obsternte eingesetzt. Hilfreich war gestern das unhandliche Ding aber schon, wenn sie sich hochkonzentriert und mit ernster Miene dem Baum näherte, sorgsam die Äste inspizierte, anlegte und sich dann mit aller Macht betätigte.
Und so haben wir am Ende des Tages ausprobiert, wieviel Äpfel in mein Auto passen, ohne dass Wochenendgepäck und Schwester zurück bleiben mussten.
Heute abend gibt’s Apfelpfannkuchen!
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