Mit einem Beitrag bei einem inzwischen verkauften Veranstaltungsportal über eine Ölmühle am Hang des Sollings, einem waldigen Mittelgebirgszug, begann alles. Kokosöl gab es dort auch, was mich persönlich, da ich den Solling von sonntäglichen Spaziergängen mit den Eltern kenne, schwer verwunderte und zu einer Frage reizte. Und dann küsste ein Musensohn die flinken Finger der Kommentatorinnen und so fing eine wirklich tolle Schreiberei an, in deren Mittelpunkt eine junge Dame namens Auguste stand, die reizend erröten konnte und herrliche Handarbeiten zu fertigen wusste.
Die Geschichte entwickelte sich herzergreifend und –wärmend, bis sie jäh, fast vor dem Höhepunkt, aus dem Schreibschwung gerissen wurde, die Hälfte im Nirvana der gelöschten Userexistenz verschwand und mich, gleichsam mit Auguste haltlos weinend, zurück ließ.
Der reizende Herr PJ, der den ursprünglichen Beitrag über eine Ölmühle am Solling verfasste, hatte in weiser Voraussicht diese „Novela“ kopiert und mir vor ein paar Tagen zukommen lassen.
Vielen, vielen heißen Dank, Herr PJ!
musensohn
Palmin
(Elisabeth Runghold)
Zu den edelsten Essenzen
aus der Feinkost Magazin,
dessen Auswahl ohne Grenzen,
sorgt die Säure Palmitin.
Stattlich strebt am hohen Halme
in des Kaisers Colonie
himmelan die Cocos-Palme.
Willst du braten, brauchst du sie !
Ob des Fetts Erfinder wußte
durch die Gattin ehedem
von der Kunst der braunen Crouste,
die der Köchin oft Problem ?
Trüben Rindertalges Schwitze,
auch des Schmaltzes Brot-Belag,
sind der Hitze schwach nur nütze
und belegt mit Beigeschmack.
Palästina weiland salbte
Judas König kompetent.
Moses (als noch Aaron kalbte)
schrieb das vor im Testament.
Doch der Morgenländer Kön’ge
waren deß nicht eingedenk.
Geizten gar um Pfönn’ge
für des Jesu Tauf-Geschenk.
Aus Arabiens Wüsten Dürre
kamen sie ans Kinderbett.
Statt Palmin schenkten sie Myrrhe.
Mürrhisch macht mich Affenfett.
Mozart machte seinen Diener
vor dem Öl, dem Volk gefällt ’s,
gab der Gurgel von Palmina
Cantilenen Edel-Schmeltz.
An der Cassa stimmt nun heiter,
wen der Butter Preis genirt.
Rinder, schonet euren Euter!
Hier man Fett aus Palmen schmiert.
Importirt, ihr Frucht-Verleger,
daher, wo man selbe sieht,
die uns pflückt der nette Neger
aus dem Colonial-Gebiet.
Seit er missionirt vom Psalme,
in des Urwalds Grüngesträuch,
gehnt er singend auf die Palme,
nach den Nüssen fern für euch.
Solchen Segen hat uns Mutter,
die Natur, so reich gebeut.
Flocken von der Palmenbutter
jeder in die Pfanne streut.
Wenn nach Fett die Hände fassen,
will die Welt nur dich, Palmin!
Nein, nie gleichet – ausgelassen –
dir kein ander Margarin…
buchstäblich
Ersten’s habe ich jetzt Hunger.
Zweiten’s frage ich mich, ob die Heiligen Drei Könige in Wahrheit Gold, Weihrauch und Palmin dabei hatten. Dabei dachte ich bis’lang, e’s habe sich um Gold, Weihrauch und Sauerkraut gehandelt‘.
(’sind das genug Apostrokatastrophen? Sonst bring‘ ich gern noch ein paar vorbei)
Ach ja: Fräulein Runghold wusste, wie man „Neger“ auf die Palme bringt! Tolles Werk.
musensohn
Achtung, Druckfehler: „gehnt er singend auf die Palme“. Entweder gähnt er auf DER Palme (Mittagshitze am Äquator), oder er geht auf dieselbe. Ich muß wohl noch mal im Urtext gründeln.
buchstäblich
Musensohn,
ich habe es manchmal ganz gern, wenn ich beim Lesen die Wahl habe. Das hat das Fräulein Rundhold ganz treffend gestaltet. Lass das ruhig, wie es ist.
Die Vorstellung, dass er singend auf die Palme geht, ist fast so lustig wie die, dass jemand gleichzeitig singen und gähnen kann
Na, hoffen wir mal, dass Fräulein Runghold sowohl rund als auch hold war. Ich wollte ihr zwar keine Eigenschaften andichten, aber mein Zeigefinger war schneller.
Richensa
Du und nicht andichten??
Gestatte, dass ich dabei leise lächele……
buchstäblich
Leise lächeln ist in Ordnung – das macht ja auch keinen Krach und dann merkt’s keiner von den Andern.
musensohn
„Auguste ließ verschämt ihr Strickzeug in den Schoß sinken und lächelte so leise, daß der Baron fürchtete, man könne das metallene Klirren der zu Boden fallenden Stecknadel bis hinüber zum Rauchsalon vernehmen.“
(Aus dem Romanfragment „Herz ohne Heimat“ vo E. Runghold)
buchstäblich
Wie herzig!
Wenn ich nur wüsste, wozu man beim Stricken eine Stecknadel braucht ….
musensohn
Beim Stricken für gewöhnlich nicht. Umso mehr beim Einsatz von Redewendungen und Sprichwörtern. Oder hat man schon je eine Stricknadel im Heuhaufen gesucht? Aber im besonderen Falle hat Auguste für die herbstlich kühlen Jagdstunden des umschwärmten jungen Barons ein Strickleibchen in Arbeit, deren Teile sie zur Anprobe provisorisch mit Nadeln feststecken muß, bevor sie endgültig zusammengefügt werden. Die Teile natürlich. Auguste wird dem Baron entsagen müssen, weil er die reiche Comtesse von O. ehelichen soll.
Richensa
Ach du Herr Jeh!
Wo wird das enden? Und mit wem?
buchstäblich
Auguste wird warten müssen bis nächsten August. Die Stecknadel hatte sie perfide mit Schwindsuchtbazillen infiziert, und wie sich das gehört, wird die Comtesse sich daran stechen. 100 Jahre schlafen wird sie davon nicht, aber über den Sommer dahinsiechen, damit Auguste den sodann frisch verwitweten Baron ehelichen kann. So wird sie Scharen kleiner Barönchen mit Strickleibchen bestricken können.
P. S.: Toll, was man aus einem Probefläschchen Öl so alles herauspressen kann.
Richensa
Alldieweil die Comtesse anmutig rote Rosen ins Taschentuch hustet, wird Auguste sie und den Baron als Gesellschafterin nach Davoz begleiten, auf den Almen umherwandern, während die Comtesse in eine Häkeldecke gehüllt, auf dem Balkon des Chalets, vom charmanten russischen Großfürsten umworben wird.
Auguste hingegen lernt noch die Käserei von Ziegenmilch bei Heidi, der Sennerin.
buchstäblich
Die sieche Comtesse, leidensbleich mit abgewandtem Gesicht auf den bestickten Seidenkissen mit mundgeklöppeltem Rand, blickt auf die mit zarten Efeuranken und Rosenknospen bestickten Tapeten, während er Baron auf dem Balkon sinnierend über die Wiesen schaut, wo die immer noch schöne Auguste mit rosigen Wangen kniet und eine Ziege melkt. Die Milch will sie zum Abend der Comtesse in einem silbernen Becher zur Stärkung servieren, nicht ohne vorher ein klein wenig hineingespien zu haben.
Richensa
Dieser silberne Becher, auf’s Schönste verziert mit den größten Edelsteinen, den die kundigen Zwerge aus den Bergen Siebenbürgens einst schürften, war eine Liebesgabe von Fürst Vladimir, der der Comtesse, als sie noch sissigleich durch die Berge streife, einst sinnenlustig verfiel. Wäre er nicht mit Olga, der munteren Matrone, Mutter seiner dreizehn Söhne und sieben Töchter, vom Popen Illjuschin angetraut worden, hätte er seine Ländereien, seine Leibeigenen und die Kriegskasse des osmanischen Reiches für eine Nacht mit der damals noch glutvollen Jungfrau gegeben. Leider waren die Ländereien, die Leibeigenen und die Kriegskasse nicht mehr wert als ein silberner Becher, in den die rosenwanginge Auguste hineinzuspeien gedachte.
buchstäblich
All ihre Verachtung wollte sie hineinlegen in den Becher für die Sieche, eine kleine Vergeltung für die Schmach, die sie ihr angetan hatte in der Klosterschule. Gewiss, sie war die illegitime Tochter des Bischofs, doch dies hätte ein Geheimnis bleiben sollen. Aber die Comtesse in ihrer oberflächlichen Geschwätzigkeit hatte ja weiland zur Oberin laufen müssen in ihrem Neid auf die guten Noten im Strickunterricht.
Fortan war Augusten nicht mehr gelitten in der Riege der fleißigen Taschentuchherstellung für den örtlichen Klerus, meinte die Mutter Oberin doch, eine Kardinalsnase könnte durch ein von unwürdiger Hand gefertigtes Schnupftuch entweiht und in seiner Heiligkeit geschändet werden.
Es war dieser Makel, der auf Augustens Leben schwer lastete und der der Comtesse erst ermöglicht hatte, sich an ihr vorbei an die Seite des jungen Barons zu drängen, ihres Herzallerliebsten.
Richensa
Nächtelang hatte Auguste still in ihrer kargen Kammer gelitten, dann wieder, einer maladen Werwölfin gleich, ihr Leid in den stillen Nachthimmel der masurischen Seenlandschaft hinausgeheult, in der das verschwiegene Kloster seine langen Schatten warf. Es war ein Ort, in der Töchter aus den besten Häusern erzogen werden sollten, für den heiligen Stand der Ehe in allen Kunstfertigkeiten, die sich ein Ehemann nur wünschen konnte, erzogen wurden.
Auguste war als Mündel eines Lübecker Marzipanmagnaten eingeschrieben, als Waise aus dem Morgenland und nun hatte das kecke Comtesschen den ehrenwerten Namen des Marzipanmagnaten gleichsam besudelt.
Die Rosenwangige ward bleich und bleicher, selbst die gestrenge Mutter Oberin begann, um das Wohl der jungen Novizin, deren Weg in die Arme des jungen Barons so jäh unterbrochen ward, zu bangen.
Gleichwohl erschien der Wunsch eines alten Freundes des Süßigkeitengroßhändlers, eine Gesellschafterin für dessen stämmige Tochter Walburga die Rettung für die zarte Auguste. Gen Italien sollte sie reisen, der jungen Walburga eine getreue Freundin und gleichzeitig eine Lehrerin in den feinen Nadelkünsten zu sein. Weit weg von den Orten, an denen sie so gelitten, weit weg von den Menschen, die ihr gar so viel Leid zugefügt hatten.
Bitterlich weinend verabschiedete sie sich eines kühlen Morgens von Schwester Rabiata, der gestrengen Zuchtmeisterin des Klosters, die sie so viele trickreiche Nadeleien gelehrt hatte. Diese überreichte ihr, heimlich als letzten Händedruck, ein Häkelnadeletui aus Rosenwicklerhaut, in welches in einem geheimen Fächlein zwei pfeilschlanke Sticknadeln steckten.
„Liebes Kind,“ wisperte sie. „Der Tag wird kommen, an denen du den feinsten Kreuzstich nördlich und südlich der Karpaten sticken willst. Du wirst vorbereitet sein.“
Sprach’s und verschwand.
Das Wangenrot kehrte in Augustes lieblich‘ Antlitz zurück, als sie in der Kutsche genItalien saß und mit Walburga munter Wurststullen zu sich nahm. Angesichts dieser Köstlichkeiten, hinuntergespült mit Apfelwein verschwamm das Gesicht des jungen Barons schon bald in ihrer Erinnerung.
buchstäblich
Während Wallburgas Wonnebusen wallte im Rhythmus ratternder Räder fiel Auguste in einen tiefen Schlaf. Sie näherten sich in flottem Trab dem Land, wo die Zitronen blühen und Zitronenfalter eifrig ihrem Namen Ehre machen.
Auguste schlief so tief, dass das Halten der Kutsche sie nicht zu wecken vermochte.
Eine Horde Straßenräuber blockierte den Weg, angeführt von Robin Offlocksli, dem berüchtigten Angel-Sachsen. Er war Sachse und landauf, landab dafür bekannt, dass er durchreisenden Fremden die Geldbörsen und Juwelen aus den Taschen angelte.
Auch warf er gern die Rute aus, wenn wallende Wonnebusen wogten, so dass er von Wallburgens Anblick wie gebannt war.
Richensa
Schreckgeweiteten Auges sah die Schreckensbleiche dem Unhold in’s Antlitz. „Oh,“ war alles, was sie ihrer angstvollen Kehle entringen konnte. Das Korsett schnürte noch viel mehr, hatte die gestrenge Zofe heute doch das Knie gebraucht, um Walburgas Taille in wundersame Kurven zu schnüren. Hätte sie doch nur auf Pastor Jebsen gehört und sich der Mäßigung bei den Wurstbroten gar befleißigt.
Der fremde Lüstling hatte gewisslich schon mehr als Geldbörsen, Obligationen des Ostindienkompanie und juwelenpralle Taschen geraubt. Walburga fiel mit einem tiefen Seufzer in die schwellenden Polster der Kutsche zurück und versank in gnädige Ohnmacht.
Robin Offlocksli riss mit mächtigem Schwunge die Koffer vom Dach des gelben Wagens, auf dessen Höhe der Schwager von Augustes Stiefmutter saß. Kein Wort war bisher gefallen, die wüsten Gesellen waren auch verschwiegen, kamen doch aus sie aus dem tiefsten Kaffee-Sachsenlande.
buchstäblich
Die Koffer lagen im Staub der Straße, der von Wollust gebannte Robin Offlocksli hatte sich immer noch nicht gerührt, und starrte durch das Kutschfenster auf die aus der Ohnmacht erwachende Wal(l)burga mit ihren üppigen Kurven. Ungeduld wallte in ihr auf:
„Herr Räuber, Herr Räuber, wo bleibt die Vergewaltigung?“ japste sie aus dem engen Mieder hervor.
„Nu, Frolleinschn, nu sein Se ma nich so ungeduldsch! Wo ’sch hergumm, ham wa vierzsch Jahr‘ mit Wartn rumgebracht, da wern Sie doch fümfe Minudn Zäit habn, bis sich der olle Robin Oflocksli oos seene Glüngel gepuhlt haben werd‘! Nää, nää, de Raubobwer wern heut‘ ooch immer anschbruchsvollr!“
Richensa
Auguste seufzte leise im Schlafe, hatte doch der Baron gerade ihre Träume betreten. So tief war der Schlaf, so tief, so tief. Nein, sie wollte nimmermehr erwachen, denn nur hier konnte sie ihm so nahe sein. Leise wehte eine Brise süß klingender Geigen durch ihre zerebralen Cortex, sie hörte sie im Dreivierteltakt locken. Eine leichte Röte überzog ihre Wangen, als sie den Baron im Traume auf sie zutreten sah. Welch‘ stattliche Erscheinung, welch‘ lieblich Antlitz, welch‘ wohl geschnittener Anzug. Er forderte sie zum Tanze auf, sie, Auguste!
Sie knickste, schlug den Blick nieder. Es regnete augustenrote Rosenblätter vom unendlich tiefen Himmelszelte, als er ihre zarte Mitte umfing und sich zu den Klängen des Walzers „An der schönen blauen Unstrut“ mit ihre geradezu in’s Paradies hineinzudrehen schien.
Ihre zarten Füße bewegten sich im Traum und traten jäh‘ in’s Leere. Ihre Hände suchten den geliebten Baron zu halten, der wieder ihren Blicken entglitt. Tränen traten in die Augustens liebende Augen und rannen die Wangen hinunter.
Hastig erwachte sie und schrie auf, als sie der neuen Situation gewahr ward.
buchstäblich
Denn Robin Offlocksli wand sich im Staub vor der Kutsche. Hatte Augustens im Schlaf auskeilender Fuß doch die stolzgeschwellte Hose des Räubers getroffen und sein empfindsames Gemächt empfindlich getroffen!
Winselnd wand er sich im Schmutz, und Wallburga, erkennend, dass das Schicksal in Form von Augustens Fuß ihr in die Quere gekommen war, schaute ernüchtert. Das Abenteuer mit dem Abenteurer war in weite Ferne gerückt.
Richensa
„Ei verbibbscht,“ keuchte er, als er wieder zu Atem gekommen war. Er winkte seinen vierzig Räubern, ihm aufzuhelfen. „Isch kumm, isch kumm… isch kumm Euch gleich inne Gutsche….!“ Wild gestikulierend hüpfte er rotgesichtig um das Pferdegefährt herum.
Auguste hielt angstvoll das Taschentuch vor den Mund, Robin Offlocksli sollte dieses übergewichtige Männlein sein?
„Oh Walburga, wir sind dem Unhold gewisslich eine leichte Beuchte. Was sollen wir bloß tun?“
buchstäblich
„Auguste, reiß mein Mieder auf!“, ließ Wallburga die Freundin erbleichen.
„Wallburga, nein! Nicht für diesen Unhold sollst Du Deine Unschuld in den Staub werfen!“
Wallburga schüttelte den Kopf, dass die Schillerlocken wackelten.
„Nicht die Unschuld, Auguste, der Unhold soll im Schmutze liegen! Schau, sein vom Sturz gelupftes Wams – er trägt einen Hüfthalter darunter, der eitle Geck! Statt im Kampf sich zu erproben und seine Kräfte zu erhalten, frönt er der Völlerei! Zu feig‘ jedoch, in Ehr‘ den Wanst zu zeigen, tut er’s den eitlen Matronen nach. Ihm will ich zeigen, was die Walküre von den Winslern trennt.“
So riss Auguste die Bänder von Wallburgas Schnürung auf und Wallburga streifte die hinderlichen Röcke ab. Sie sprang aus der Kutsche, dass der Boden bebte und stürzte sich auf Robin Oflocksli, drückte ihn mit ihrem Schwung zu Boden und gab ihm Schellen mit dem Pompadour, dass durch die restlichen Wurstbrote, die Stickschere, fünf Nägel, dreizehn Busrollen und einige Kieselsteine und Kronkorken zur Waffe geworden war.
Links und rechts und links und rechts bekam der Gauner den Beutel zu spüren, bis Schwindel ihn ermattete.
Richensa
Die vierzig wackren Mannen erstarrten, so war noch nie einer von ihnen von einer Maid vorgenommen worden. Der Zweite an des Anführers Statt sprang von seinem Rappen, um dem Hauptmann des Schweifs zur Hülfe zu eilen, alleine, dieser wand sich pfeilschnell unter der Mut’gen davon, zu sehr drückte die Schmach seinen fleischesfarbenen Hüfthalter zusammen. Der Statthalter des Offlocksli hob den Unhold schnell auf seine Schecke und versetzte ihr einen kräftigen Tritt mit dem Stiefel, so dass das Ross angstvoll wiehernd davon stob, gefolgt von den vierzig angelnden Sachsen.
Schwer atmend erhob sich schlussendlich auch Walburga, schnell eilte Auguste errötend herbei, um ihrer Freundin Blöße geschwinde mit warmen Tüchern zu bedecken. Endlich war auch der Schwager aus seiner Lethargie erwacht, als der Kutscher ihm einen heftigen Schlag mit dem Kutscherhut versetzte.
„Wackere Walburga,“ rief er voller Wonne. „Wackre Jungfrau, Ihr habt uns aus großer Not gerettet!“
Walburga setzte zu einer Antwort an, allein Auguste zog sie in die Kutsche, um das Tageskleid der gewaltigen Freundin auf’s Beste wieder herzurichten.
Schnell hatte der Kutscher seine Gäule wieder auf den gerade Weg zurück gelenkt und schon wurde die muntre Reise gen Italien fort gesetzt.
musensohn
(Kommentar aus dem off:) Aber was geschah hinter der Paßhöhe, als das herannahende Gewitter sie zwang, in der verrufenen Herberge zu Brixen ein Obdach zu suchen? Wäre Augustens Rosenkranz nur nicht in der Polsterung der Equipage versunken – ein inbrünstiges Gebet hätte das Unfaßbare vielleicht noch verhindert. GOtt steh uns bei!
Richensa
Musensohn, du scheinst uns geradezu geküsst zu haben…..
buchstäblich
(pflückt den knutschenden Kommentator von der Regisseurin) tststs … und das öffentlich!
(räuspert sich und fährt fort)
Der Himmel verdüsterte sich, Wind kam auf und wirbelte den Staub der Landstraße auf, über die die alte gelbe Kutsche ratterte. An einer Biegung der Paßhöhe wurde der Wagen von eine Bö erfasst und beinah in die Schluchten gestürzt. Dem Kutscher war klar: Die Fahrt war nicht zu Ende zu bringen bei diesem Wetter. Ihm schwante nichts Gutes, kannte er doch den Ruf der Herberge zu Brixen, der allen erfahrenen Kutschern vertraut war. Sorgenvoll senkte er das Haupt und bekreuzigte sich klammheinlich.
Richensa
Schon peitschte die eisige Windsbraut durch das enge Tal hinauf, brachte pfeilscharfe Schneeflocken hinan. Der Kutscher zog den schwarzen Hut tiefer, peitschte auf das erschöpfte Pferdegespann ein. Nein, er wollte nicht in dieser Nacht in die Klamm stürzen, er wollte leben, wollte heim zur Mutter seiner acht unterernährten Kinder, wollte mit dem Lohn, den Walburgas Vater ihm in Aussicht gestellt hatte, endlich eine Schenke im Nauener Land eröffnen, dort wo die Luft stets lau von den Ausdünstungen der preußischen Hauptstadt war.
Er verscheuchte den Gedanken an lieblichere Gestade und ward durch den winselnden Sturm bereits der schaukelnden roten Laterne der elenden Herberge zu Brixen gewahr.
Augustens Stiefmutter hatte ihren Schwager wohl nicht umsonst den jungen Damen zum Schutze zur Seite gestellt, dachte er, als er die Equipage mit lautem Peitschenknall um die letzten, schwindelerregenden Kurven lenkte, die noch zwischen dem sicheren Tod durch Erfrieren und dem wärmenden, aber lasterhaften Hause lagen.
buchstäblich
Schon sahen er es hinter einigen Bäumen und Sträuchern sich gegen den von Blitzen erhellten Himmel aufragen. Vermeintlich friedlich stand es da, und Auguste, die grad aus dem Kutschfenster schaute, dachte: „Wie seltsam, man meint, dass hinter diesen Fenstern das Licht wärmer scheint …!“ und summte leise vor sich hin, während die inzwischen ein wenig eingenickte Walburga leise schnarchte.
Nur der Kutscher wusste, welch trügerischer Schein es war, der hier den arglosen Reisenden anlocken sollte. Ihm wurde bang ums Herz.
Richensa
Endlich erreichte die Equipage den vermeintlich heimeligen Hof. Leise kräuselte sich weißer Rauch aus dem Schornstein, durch die blitzblank geputzten Fenster konnten die Reisenden ein munteres Feuer im Kamin springen sehen.
Auguste weckte die liebreizende Freundin aus dem sanften Schlummer. „Liebste Walburga,“ wisperte sie, „unser Nachtlager ist nicht mehr fern. Nach des Tages Mühen werden wir hier heute unsere Häupter betten. Schau‘ nur, ein freundliches Feuer lädt uns in die Herberge.“ Endlich hatten ihre Wangen wieder den rosenhaften Schimmer gefunden, der ihr bei den Räubern so unerwartet abhanden gekommen war. Schnell griffen die jungen Damen ihre lieblichen Nadelwerke, die sie in den langen Stunden hoch auf dem gelben Wagen für Bedürftige anfertigten und zogen ihre Hauben fest auf das lockige Haupthaar.
Der Kutscher und der Schwager waren geschwinde vom Kutschbock gesprungen, um Auguste und Walburga beim Entsteigen des Gefährtes behilflich zu sein. Schon hatte der Wirt der Brixener Herberge das mächt’ge Tor aufgestoßen und bat Beide unter katzbuckelnden Dienern in die Halle hinein.
„Oh schau, Walburga,“ rief Auguste entzückt. „Hier dreht sich ein Schwein auf dem Spieß, es steht der Most auf dem Tisch und frisches Brot ist für uns gerichtet.“
Die Mädchen setzten sich mit blitzenden Augen an die lange Tafel, die lang genug für 44 Gäste schien. Ein mit schneeweißer Schürze angetanes Serviermädchen mit Spitzenblüschen und eng geschnürtem Schnürleibchen trat hinzu, und goß den Hungrigen einen schmackhaften lieblichen Rotwein aus Rumänien in die klingenden Gläser.
Schnell waren auf den Teller große Stücken des schmackhaften Spanferkels angehäuft, die Mädchen lächelten leise, als sie den Kutscher und den Schwager herzhaft schmatzen sahen und auch Walburga konnte nicht mehr an sich halten. Beherzt stieß sie die Reiseklappgabel, die sie in ihrem aus Apfelwicklerhaut geklöppelten Reiseklappgabeletui herausgezogen hatte, in das weiche Fleisch und seufzte wollüstig, als der Bratensaft ihr über’s Kinn rann.
Von draußen drang plötzlich Hufgeklapper, raue Männerstimmen, die laut nach Wirt, Wirtin und servilen Dienerinnen verlangten.
Walburgas Gabel blieb, ein mächt’ges Stück Eberlende aufgespießt, in der Luft hängen. „Oh Auguste, horche zu! Welch‘ wildes Rudel, welch‘ wilde Jagd hat der Sturm durch die Nacht geweht?“
Mit Macht ward das Tor aufgestoßen, Wirt, Wirtin und das propre Serviermädchen wurden von vierzig Gesellen begleitet, die sogleich lauthals nach Speis, Trank und willigem Weibsvolk verlangten.
Walburga und Auguste, schreckensbleich, klammerten sich aneinander, als sie gewahr wurden, wen der Föhn ihnen diese Nacht ein zweites Mal geschickt hatte:
Robin Offlocksli, der angelnde Sachsen-Räuber und seine Spießgesellen quollen wie eine Sturmflut in die Kaschemme von Brixen!
buchstäblich
Doch schreckensbleicher noch als alle beiden Fräulein ward das Antlitz des räuberischen Unholds. Die wehrhafte Walburga war ihm weiß Gott im Gedächtnis geblieben, und auch der Tritt der träumenden Auguste war noch nicht vergessen. Wohl wissend, was das Wörtchen Not bedeuten kann, wenn Notdurft durch geschunden‘ Gliedwerk rinnt, erbebte Robin und grüßte die Damen mit zitternder Stimme mehr als artig.
Und vierzig Spießgesellen folgten seinem Beispiel, denn Räuberhauptmanns Beispiel war zu folgen, dem Räublerreglement zufolge.
Kutscher und Schwager, am Ende der Tafel über ihre Teller gebeugt, schauten gebannt aufs Geschehen und abwechselnd einander an: Die Räuberschaft, sie folgt dem Weibe, hat dies der liebe Herrgott je gesehen?
Richensa
Wirt und Wirtin erschraken in der Tür, an die sie käuflich Ohr gelehnt hatten, die eilfertige Magd ließ das Schenk- und Nachtgeschirr aus zartem Biskuitporzellan mit lautem Getöse fallen.
Alle drei hatten ihre dunklen, aber wohlbezahlten Geschäfte mit dem grausamen Wüterich und seinen Mannen gemacht, gar mancher Reisende war auf’s Nimmerwiedersehen in der Herberge von Brixen verschwunden. Ob Mann, ob Frau, ob Kind, ob Greis, niemals wieder vernahm man Kunde von ihnen. Ausgesandte Suchtruppen hatten jeden Stein, jedes Blatt angehoben, den die Verschwundenen einst überschritten zu haben schienen. Bis zu den Sklavenmärkten des Hinteren und Vordern Orients waren sie nicht gelangt, hier jedoch hätten sie die Schatten wiederfinden können. Aber auch in die Harems orientalischer Wüstlinge, auf die Ruderbooten am Titicacasee und knietief in Schlamm der Reisfeldern von Uncle Ben waren die Unglücklichen verkauft worden. Namenloses Herr aus der Herberge von Brixen.
Ohne dieses zu ahnen, tastete Auguste am angstoll bebenden Busen nach dem Rosenkranz, der ihr in vielen bangen, mancherlei endlos dünkenden Stunden der letzte Halt vor dem Gang in’s dunkle Nass der endlosen Seen Masurens gedient hatte.
Doch der Rosenkranz, wo war er? Die klammen Finger Augustens tasteten in den wogenden Busen, die heiß geliebten Perlenschnüre waren nicht zu finden.
„Meerstern, ich dich grüße..“, sang sie leise, ein Marienlied, welches einst ihre Muhme an ihrem kleinen Bettchen gesungen hatte, wenn das mutterlose Kind zu Bett gebracht worden war.
„Ohooo Ma-ha-riiiiaha hilf,“ erschallte es ihr zurück, leise gesungen vom Chor der Räuber. Die Räuber sangen?? Auguste schreckte auf.
Walburga sah auf, sah strengen Auges zu den Räubern hinüber. Selbst deren Hauptmann bewegte nun stumm die Lippen, kleine Perlen sauren Schweißen liefen die Stirne hinab.
Das Frankfurter Fräulein sah ihre Stunde gekommen. Hier, das wusste sie nun, würde sie ein gestrenges Regiment einführen, nicht umsonst war ihre Hauslehrerin einstmals Fräulein Adelheid Rottenmeier gewesen. Hier würde sie bleiben, was sollte sie im süßlichen Italien, hier, ja hier wollte sie bleiben. Hier würde sie mit vierzig, nein einundvierzig Gefolgsmannen einen Chor gründen. Ja, einen Chor, der zur Ehre von Frau Musica singen sollte, zur Ehre der heiligen Jungfrau und natürlich ihrer eigenen.
„Du,“ rief sie zu Robin Offlocksli, der artig katzbuckelte, „komm‘ her und sei mir zu Diensten, Du und Deine Mannen.“
„Och nööö, Frolleinschn, nöö, nuuu, isch hab‘ heut noch ein gar lusdisch Stelldüschein midd der waggren Sörviererin.“ – „Still, Gesell!“ Walburga hatte schon früher ihren Willen bekommen, und auch heute wollte sie sich nicht mehr mit den Brosamen des reichlichen Mahles zufrieden geben.
buchstäblich
Und so genügte es, dass Walburga mit erhobner Braue einen vielsagenden Blick zum Fuße Augustens hin warf, der dem Oflocksli die schmerzliche Erinnerung an sein gebeuteltes Gemächt ins Bewusstsein rief – die Rute würde er noch länger nicht in feuchte Tümpel tunken. Dies ließ ihn zucken, und die noch immer begeistert singenden Räuber wandelten seinen Sinn.
Gesenkten Hauptes schritt er vor Walburga, er schwenkte vor ihr seinen Hut zum Kratzefuß, sich tief verbeugend resignierte er, auch daran denkend, welche Wonnen die Rundungen Walburgas bei ihrer nachmittäglichen Begegnung ihm versprochen hatten.
Manch Mann nimmt seinen Platz im Leben willig ein, bekommt vom Weib er ihn gezeigt!
Das Serviermädchen, beim Anblick des Galans zu Füßen Walburgens, stapfte trotzig mit dem Fuße auf und lief zur Küchentür hinaus.
Robin, flunschend: „Nu jooo, Frolleinschn, wenn Se mich so bidden duhn, do gann ich wohl schlescht neee sachn! Un‘ wo doch de Golleeschn so schön sing’n duhn!“
Richensa
Auguste sah der Freundin mit stolzem Muthe zu, wie diese die rauen Mannen in ihre Schranken gewiesen hatte, wie sie ihren hochragenden Willen gebrochen hatte.
„Walburga, geliebte Freundin, du,“ rief Auguste. „Nun können wir endlich, gleich morgen, gen Italien aufbrechen.“ Freudige Röte überstrahlte wieder Augustens Backen.
„Auguste, du Sternrainette, du Süße,“ gab Walburga zurück. „Reise du weiter in das Land, in dem die Zitronen, Orangen und die bittere Mandel blühen. Nimm‘ an meiner Stelle die kecke Serviettenhalterin mit, sie soll sich als Walburga mit Dir zeigen. Die Wechsel, die bei den Banken der Lombarden eingelöst werden können, sollen Euch zum Unterhalte dienen. Dem Robin soll das Weibsbild schnell aus den Augen geschafft werden. Bindet ihr dicke Wäschebündel um, damit sie in meine Kleider passt. Ich werde diese in der nächsten Zeit hier nicht brauchen.“
Auguste erbleichte. Wollte Walburga hier ihrem Leben entsagen, für immer und ewig? So wie sie dem Baron hatte entsagen müssen, nachdem die hinterlistige Comtesse das Geheimnis Augustens Erzeuger so schmählich an’s Licht gezerrt hatte.
Kaum dämmerte das fahle Licht des nächsten Brixener Herbergsmorgens, brach die schweigsame Reisegesellschaft auf. Walburga begleitete den gelben Wagen bis an die Tore der seltsamen Herberge und winkte Auguste und ihrer neuen Reisegefährtin Margot so lange hinterher, bis diese um die erste wilde Kurve gen Italien verschwunden waren.
Mit einem dumpfen Geräusch schloss sie die Tore und wandte sich entschlossen dem Hause zu. „Robbin, du wilder Geselle, ich komme jetzt zu Di-hiiiir.“
buchstäblich
„Ei verbibbsch nochemol, de Walburga, de weeß obr, wo’s langgeht – een Glück is‘ mei Zibbel widda guden Mud’s!“, waren seine letzten Worte bis die Sonne im Zenit stand und die Wirtin zum Mittagessen rief.
Derweil war die Kutsche mit Auguste und Margot ein gutes Stück vorangekommen in der nach dem nächtlichen Gewitter frischen Luft. Die Pferde trabten munter vorwärts, während im Innern des Wagens die beiden jungen Damen eifrig mit den Nadeln beschäftigt waren, um Walburgens Kleider ein wenig mehr auf die Figur Margottens auszurichten, die sich als ebenfalls geschickte Näherin erwies.
Richensa
So holperte der gelbe Wagen die Landstraßen entlang, immer weiter nach Süden. Schon bald trat die Kette der schweigenden, schneebedeckten Alpen hinter den Horizont zurück, der Wagen näherte sich von Tag zu Tag mehr den Ebenen des breiten Pos.
Die Sonne wärmte die beiden neuen Freundinnen, die sich mit dem Absingen von munteren Liedern die Zeit vertrieben. Margot brachte Auguste die ersten Worte in den Lauten Dantes und Verdis bei, denn schließlich mussten sie demnächst bei den lombardischen Bankern einen guten Eindruck machen, wollten sich doch die Reisewechsel des Frankfurter Geldmannes, Walburgens Vater, einlösen.
Sie übernachteten in kleinen Hotels, die zumeist von älteren englischen Fräuleins geführt wurden und somit konnten die beiden kaum dem Backfischalter entwachsenen Maiden jede Nacht unbesorgt auf gestärktem Leinen die müden Häupter betten.
musensohn
Wie kommt Ihr bloß auf Margot? Margot Foffteyn ist nämlich die dienstälteste Ballettschildkröte aus unserer Operette „Frühling auf Galapagos“!
buchstäblich
Und eines frühen Nachmittags als nach einem längeren Bergauf die Kutsche sich wieder hangab zu neigen begann, schaute Margot zum Wagenfenster hinaus und jubelte:“Juhu, der Po – wir sind am Ziel! Auguste, die Schaukelei ist gleich vorbei!“
Und so fielen sich die beiden jungen Frauen, inzwischen enge Freundinnen, in die Arme, voller Zuversicht auf das neue Leben, das nun vor ihnen lag.
Sancho
Also das mit dem Po, das würde ich doch mal abändern, da hat das Vatikan doch was dagegen.
der Vatikan, lese ich gerade…
buchstäblich
Nicht einmal Auguste kann etwas dafür, wenn der Po der Welt am selbigen liegt.
Und wenn Ratzi etwas gegen italienische Flüsse hat, hätte er halt einen anständigen Beruf lernen müssen.
Richensa
Endlich riss der Kutscher fluchend an dem Gespinst der Zügel, welches die rassigen Rappen im Zaume hielt und schließlich hielt die gelbe Kutsche auf der sonnenüberfluteten Piazza dell Duomo in Cremona an. Auguste und Margot, deren Name an die berühmte Margot Foffteyn erinnerte, setzten sogleich die hübschen Schutenhütchen auf, die sie in den langen Tagen in der Kutsche mit ihren kunstfertigen, flinken Fingern gefertigt hatte. Die grelle italienische Sonne sollte die zarte Haut nicht vor der Zeit welken lassen, das hatten die verschwiegenen masurischen Nonnen Auguste noch vor deren Abfahrt geraten.
„Schwager Georg, seid so gut, und kümmert euch um Herberge und unser Gepäck, wir wollen uns den Dom anschauen, dies‘ drollig‘ Ding, wo das Taufbecken draußen vor der Tür steht.“
Als die jungen Damen demütig das Haupt neigend vor dem Altar auf die Knie zum Gebete sanken, für ihre Errettung aus den üblen Fängen des rüpelhaften Räubers Robin der Jungfrau Maria dankten, indem sie die Gagatperlen ihrer Rosenkränze leise durch ihre kalten Finger gleiten ließen.
Auf der hinteren Bank saßen derweil zwei englische Gentleman, die ihre „Tour d’Europe“ hier in Cremona, der Stadt der Geigen, unterbrochen hatten. Sie sahen mit großem Wohlgefallen die art’gen Jungfrauen dort unter dem Ewigen Licht knien.
„Wohlan, Sir Archibald,“ hub der jüngere an, „lasst uns ein wenig an den Gestaden des Po wandeln. Hier riecht es zu stark nach Weihrauch, mir schwindelt ein wenig.“
Die Herberge, die der wackre Kutscher für die frommen Frauen gefunden hatte, lag am Rande der Stadt. Aus dem Zimmer mit Aussicht hatten sie einen wunderbaren Blick über den Po, der gemächlich in seinem Bett lag. Und zum Ende des Tages sanken Auguste und Margot hochzufrieden in das gemeinsame Bett und schliefen dem neuen Tag entgegen.
buchstäblich
Am nächsten Morgen, die Sonne beschien schon den Po in seinem Bette, erwachten die beiden Fräulein wohl ausgeruht.
Rasch angekleidet und wohlgeschnürt eilten sie hinunter zum Frühstückszimmer, durch das der Duft von frischem Caffé Latte und feinstem Backwerk zog.
Kaum hatten sie begonnen, sich für den neuen Tag zu stärken, als just die Türe zum Balkon sich öffnete. Von dort herein traten zwei wohlgestalte Herren, die nicht zum ersten Male sie erblickten. Es waren die beiden englischen Herren, die ihnen tags zuvor schon im Dom begegnet waren. Gentlemen alter englischer Schule, die sie waren, hatten sie an der Webart der Röcke der Damen ihre Herkunft erkannt, wechselten spielend vom klarsten Oxford-Englisch zu einem fast akzentfreien Deutsch und grüßten artig zum guten Morgen.
Richensa
„Good’n Morgan, zauberhafte Damen“ hub dieses Mal der Ältere von beiden an. „Gestattet, dass wir uns vorstellen?“ Auguste wechselte einen Blick mit Margotchen, die mit ihrem hohlsaumgesäumten Batisttaschentüchlein ein Krümelchen von der rosigen wohlausgeruhten Wange tupfte. „Gewiss doch, meine Herren,“ erwiderte sie.
„Mylady, mein junger Begleiter ist Sir Mortimer Needlework, der Erbe der Needlewerke in Bristol, und meine Wenigkeit ist sein in die Jahre gekommener Oheim, Sir Archibald Fancywork, mütterlicherseits abstammend von der Familie Fruitoftheloom, der schottischen Tuchmachermonopolisten.“
Er hielt kurz ein, fast ein wenig erschöpft von dererlei vielen Informationen, die er an die staunenden Damen weiter gegeben hatte. „Gestern sahen wir bereits von ferne die Werke eurer feinen Nadelarbeiten, die gewisslich eure geschwinden Finger vollbrachten, auf euren zarten Häuptern.“
Auguste und Margot schauten weiter, staunend, die fremden Engländer an.
Sir Mortimer lächelte gewinnend über den Frühstückstisch und winkte huldvoll die unverheiratete Pensionswirtin heran, ihnen ebenfalls ein nahrhaftes Frühstück zu servieren. „Frau, ich hätte gerne Nierchen, halb durch, englische Würstchen und in süßsäuerlicher Tomatensauce dümpelnde weiße Bohnen. Dazu Toast ohne Rinde und zu starken Tee.“ Die Italienerin erbleichte, denn für sie hörte sich dieses an, als habe der Fremde sie des Inzests und der Erbsünde beschuldigt, so viele fremde Worte. Mit gemurmelten Beschwörungen aus dem „Handbuch für tätige Exorzisten“ und einer heimlich geschlagenen Bekreuzigung verließ sie das Frühstückszimmer.
„Meine lieben Damen,“ schaltete sich Sir Archibald wieder ein. „Wir möchten Ihnen ein Angebot machen, welches auszuschlagen mich geradezu ein Ding der Unmöglichkeit dünken täte.“ Margot hüstelte leise, die hastig verschlungenen Brotkrumen hatten ihr das Atmen fast unmöglich gemacht. Gespannt lauschte hingegen Auguste. Sollte sich ihr elend‘ Los in fremden Landen, so fern vom Baron doch noch aufhellen?
Der Engländer fuhrt fort: „Wir möchten euch eure Musterbücher abkaufen, damit wir in unseren englischen Textilwerken eure wunderbaren Arbeiten in Serie fertigen können. Kleine geschmeidige Kinderhände haben wir genug, deren endlose Arbeitsfähigkeit nicht durch den Schulbesuch eingeschränkt wird. Ihr würdet eine Rente für die Erfindung neuer Schnitt-, Häkel-, Strick- und Stickmuster von uns bekommen.“
buchstäblich
Auguste sank im Stuhl zurück. Zu sehr waren ihr noch die langen Gespräche mit Margot im Ohr, die ihr ihr Jugendleid geklagt hatte, nachdem Auguste bewundernd ihre Stick und Nähkunste gelobt hatte, die die ihren fast übertrafen. Margot hatte von klein auf ihr Lebtag damit verbracht, den Räubern und ihren Opfern die Becher zu füllen und Essen aufzutragen, ohne je eine Schule von innen sehen zu dürfen. Heimlich in hellen Mondnächten hatte sich Klein-Margot mit Konrad, dem Schwippschwager ihres Vetters hinter dem Holzstapel treffen müssen, damit Konrad Sieden, den sie erst nach längerer Bekanntschaft mit Konrad Duden anzusprechen wagte, ihr die Künste des Lebens und Schreibens nahebringen konnte. Wie sonst hätte sie ihre Muster katalogisieren und beschriften können?
Entschlossen setzte sie sich wieder auf. „Meine Herren, Euere Offerte ehrt uns sicherlich und es zeigt von Euren hohen Kenntnissen in textilen Künsten, dass Ihr die Werte unserer Fähigkeiten erkennt. Doch lasset Euch gesagt sein, dass in diesem Falle wir den Preis ansetzen, den Ihr entweder zu leisten bereit seid, oder verzichten müsst: Friss, Vogel, oder stirb‘!“
Die Herren wechselten erstaunte Blicke. Es waren ungewohnt kesse Worte aus jungfräulichem Munde, die da ertönten!
Auguste fuhr fort: „Es ist ein Unding, wenn Ihr Kinderhänden Euer Werk entringen wollt, doch Kinderköpfe tumb sein lassen wollt auf ewig, so dass in Armut und Ausbeutung zu verharren sie gezwungen sind! Wollt Ihr die Früchte unserer Kunst mit uns teilen, so teilt sie auch mit Kinderhänden: Für all‘ die kleinen fleißigen Hände sollt Schulen Ihr bauen, dass Wissen in die Köpfe strömt. Vier Jahre sollen lernen sie, und Früh- Mittagbrot erhalten, aber nicht zu knapp! Danach lasst weiter lernen sie bis zur Mittagsstunde, und zur Arbeit dürft Ihr nehmen sie am Nachmittag, doch länger nicht als bis die 6-Uhr-Glocke läutet, dass frisch und munter sie am nächsten Tag ihr Werk beginnen. Doch nach dem achten Jahr sei klar, dass ihren Freibrief sie erhalten.
Wenn dies die Leistung ist, die unsere Muster Euch wert erscheinen, sei es drum. Was Ihr gewinnt durch unseren Vorschlag, wird Euch als Gentlemen zur Ehre gereichen, mit uns zu teilen halb und halb!“
Richensa
Die Engländer staunten nicht schlecht, als sie dieses Vorschlags gewahr wurden. Sie sollten der pekuniären Früchte der kleinen Kinderhände Arbeit für Jahre entsagen? Aber wenn der Weg zum Musterbuch des Fräulein Margot nur auf diese Weise gangbar sein würden, nun, sei’s drum, die Gentlemen würden ihn gehen müssen.
„Drum, Myladies, so sei es!“ Sir Archibald und Sir Mortimer standen ernsten Gesichtes auf. „Wir werden sofort in das Reich unserer mächt’gen Königin aufbrechen, um alles vorzubereiten, so, wie die Damen es wünschen.“ Margot und Auguste nickten, unfähig ihr Glück zu fassen.
„Aber eine Bitte schlagt uns nicht ab,“ Sir Mortimer wand sich voller Verlegenheit in seinem steifen Kragen, der mit Hoffmanns Stärke auch den strengen schottischen Winden schildhaft standhalten konnte. „Könnte uns nicht Lady Margot begleiten, vielleicht auch der Kutscher und der Schwager?“
Auguste überlegte kurz. „Und ich soll in diesem fremden Lande alleine bleiben? Ohne Margots Musterbuch, ohne Margots Gesellschaft, ohne Margots wärmende Füße abends? Oh, nein, Mylords, diesem Ansinnen kann ich unmöglich nachgeben. Wo ich schon Walburga an fremden Gestaden zurück ließ, um mit Margot gen Italien zu enteilen, wo die Sonne wärmt, wo der Po in seinem Bette….“ „Liebste Freundin,“ hub die andere wieder an. „Habt keine Angst, ich lasse Euch nicht in der Fremde zurück. Als Ausgleich schicken wir den freundlichen Herren den Kutscher und den Schwager mit, damit die Herren nicht so alleine sind, wenn sie im kalten Engelande die Ankunft meines Musterbuchs in aller geziemenden Sorgfalt vorbereiten.“
Auguste klatschte freudig erregt in die feinen Hände, während die Herren einen schnellen Blick tauschten. Woher hatte die flinke Margot gewusst, dass sie ohnehin einen Kutscher und einen Schwager brauchten für ihr verschwiegenes Landhaus in den Cotswold Hills?
Ein eilig herbei gerufener Jesuit, der in allen den dunklen Künsten, aber auch im Aufsetzen von internationalen Verträgen in geheimen Missionen des Vatikans beschlagen war, brachte Papier und Tinte aus den Tiefen der Soutane hervor. Schnell zuckte die geschliffene Feder über das papierne Feld, Paragraphen, Unterpunkte und Unterschriften wurden bereitet.
Bald reisten die vier Herren gen Engeland ab, hoffnungsfroh, denn sie würden das Leben vieler Kinder auf’s Beste ändern, fest entschlossen, auch Fräulein Margot dereinst eine Heimstatt bieten zu können. Der Kutscher hatte bitterliche Tränen vergossen, als ihm mitgeteilt wurde, dass er seine vier Rösslein im Land der Zitronen und Orangen würde zurück lassen müssen. Der Schwager hingegen wollte seit vielen Jahren einmal die berühmten Beefeater sehen, von denen ihm die Stiefmutter Augustens einst abends vor dem Schlafengehen erzählt hatte.
Die Damen hingegen zogen sich zum Lustwandeln auf die Flussdeiche des Pos zurück und beschlossen, am nächsten Tage die Eisenbahn nach Florenz zu nehmen, um endlich die Frankfurter Wechsel im Bankhaus der Lombarden einlösen zu können. Sodann würden sie unerkannt gen Milano reisen, um sich dort nach den Butterpreisen zu erkundigen.
Natürlich würden sie auch neue Gewebe, farbenprächtige Stoffe unter den kundigen Fingern fühlen, die sie in Margots Musterbuch zu zeichnen gedachten.
buchstäblich
Als der Zug in Florenz einfuhr, war es noch früh am Tag. Der Arno, träge in seinem Bett, wälzte sich durch die Stadt. Jenseits des Ufers prangte der Palazzo Pitti im morgigen Sonnenlicht.
Auguste und Margot wähnten sich just am richtigen Ort. Ein Zentrum für Kunst und Kultur, aber für Handel und Handwerk schien den Damen grad recht als Ort für eine kurze Verweildauer.
Der Giardino Biardini würde ein Ort der Inspiration für ihre Entwürfe werden, doch wichtiger war es, Quartier zu beziehen, das sie im Hause der Signora Donatella aber recht bald fanden – das geräumige Zimmer verfügte über einen Balkon mit einem herrlichen Blick über die Stadt – hier würden sie bei gutem Wetter ihre Arbeit an die frische Luft verlegen können – dank der hier üblichen Florentinerhüte würde ihr Teint nicht leiden. Zudem war die freundliche Signora Donatella in der Nachbarschaft berühmt für
ihre hausgemachten Pasta-Spezialitäten, sie würden bei allem Fleiße bei Kräften bleiben, bis die florentinische Bank nach den Betriebsferien ihre Pforten wieder öffnen und ihnen die Weiterreise nach Milano ermöglichen würde.
Richensa
Währenddessen hatte die kecke Comtesse ihre Chancen genutzt. Dank ihrer tadellosen Tischmanieren und der Verbindungen über ihre Cousine zweiten Grades, die Baronesse von Bevern, hatte sie eine huldvolle Einladung zum Klöppelkreis der greisen Großmutter von Augustens hochverehrtem Baron erhalten. Die alte Dame war dafür bekannt, dass sie sowohl Klöppelkissen als auch Teelöffel trotz des Alters von etwa 85 Jahren immer noch tadellos hielt.
So hatte dann die Comtesse auch rasch dank der Kammerzofe der greisen Baronin erfahren, wann der junge Baron seine geliebte Großmutter zu besuchen gedachte. Die Beverner Baronesse hingegen verstand es, auch ihrer Cousine zweiten Grades, der kecken Comtesse eine Einladung zu den beliebten Gartenfesten der alten Baronin zu verschaffen.
Frisch geschnürt und gemiedert, die Locken frisch mit dem Lockeneisen gedreht und die Wangen durch stetes Kneifen zu jungmädchenhaftes Rosa verfärbt, kamen sie in der offenen Equipage der Bevenerin vorgefahren.
Wohlgekleidete Knaben empfingen sie und führten sie in das Gartenzimmer der alten Dame, welches einen zauberhaften Ausblick auf die weiten des barocken Gartenensembles, welches in allen Tönen des Rosenregenbogens im hellen Sonnenlichte erstrahlte. „Wohlan, ihr Mädchen,“ hub die Alte an. „Der Butler serviert gleich den Tee, ihr seid zur rechten Zeit bei mir erschienen. Und in einer kleinen Epistel teilt mir mein geliebter Enkelsohn, Baron Bodo, sein Erscheinen mit.“ Die beiden Durchtriebenen lächelten liebreizend.
Indes kam der englische Butler mit dem Servierwagen in die Veranda gefahren. Kandierte Früchte aus Italien, Butterscones mit Erdbeerkonfitüre, Gurkensandwiches und vielerlei Leckereien waren zu wohlschmeckenden Pyramiden geschichtet. In fast durchsichtigem Biskuitporzellan wurde Tee aus Ceylon von dem schweigsamen, scharzgewandeten Engländer serviert. Als die Comtesse, die Baronesse und die Baronin sich diese Köstlichkeiten gerade munden ließen, meldete der Butler den Langerwarteten.
Kaum war dieses vermeldet, trat der junge Baron bereits ein. Ein herzliches Lächeln erwärmte die Züge der Greisin. „Oh, geliebter Enkelsohn, welche Freude, Euch hierhaben zu können. Ihr versüßt mir den Nachmittag mehr als sämtliche kandierten Früchte auf der silbernen Etagère dort drüben.“ Sie streckte die dürren in violettfarbiges Sammet und Seide gehüllten Arme nach dem schmucken Manne aus.
Er beugte sich zum Gruße gar galant über die knochige Hand. „Sagt, Großmutter, welche liebreizenden Gäste habt Ihr mir hier verschwiegen?“ – „Ach, mein Enkel, dieses sind zwei reizende Mädchen, die mir den Tag heller machen, solange Ihr nicht bei mir seid.“
Er lächelte zu den jungen Damen. Die Baronesse von Bevern lächelte herzlich und zeigte dabei ihre elfenbeingelben kräftigen Zähne. Schnell hob sie den Fächer, zu spät, der junge Baron war schon erbleicht ob so viel kräfitigen Beißwerkzeugen. Indess legte die kecke Comtess ihr zartes Haupt etwas schief und lächelte ihr in langen Stunden geübtes, hinreissendstes Lächeln. Dem jungen Baron wurde ganz warm. Oh, welch‘ zauberhaftes Wesen, dachte er bei sich.
Schnell nahm er sich ein Stückchen Konfekt und versuchte, der Verwirrung seines Herzens Herr zu werden. Seit er Auguste vor so langer Zeit an einem Besuchstag in jenem verschwiegenen Kloster unter den dunklen Tannen Masurens von hinten gesehen hatte, jenem ach‘ so kurzen Moment, war ihm nie wieder so gewesen.
Er verschluckte sich an dem heißen Tee und ließ sich von seiner Großmutter auf den Rücken klopfen, damit er wieder zu Atem kam.
buchstäblich
„Signorina Auguste, Signorina Margot!“, eilte die Signora Donatella auf den Balkon, wo die bei sich eifrig über ihre Musterbücher vertieft hatten, um die Skizzen der Blumenranken, die sie im Giordano Biardini gezeichnet hatten, in schematisierten Stickvorlagen grafisch aufarbeiteten, um wiederholbare Muster für Säume und feines Tuch zu erzeugen. „Signorinas, die Bank öffnet morgen wieder, der Herr Direktor ist wieder in der Stadt!“, und die Signora stellte dabei das Kaffeetablett auf den kleinen Beistelltisch, um zu gewährleisten, dass kein überschwappendes Tröpfchen die Vorlagen ruinieren konnte.
„Ach, fein, Signora! Dann kann unsere Reise bald weitergehen, und Milano rückt in greifbare Nähe!“
Die Signora füllte die Tassen, nach der getanen Arbeit und der guten Nachricht schmeckten der Kaffee und das Gebäck doppelt gut. Munter schwatzend ließen die drei Damen es sich auf dem Balkon gefallen und schmiedten Pläne für die Weiterreise.
Richensa
Während die Wangen der fleißigen Stickerinnen augustenrot über italienischem Gebäck und Kaffee erglühten, bahnte sich im fernen Salon der greisen Baronin eine Verbindung an, die Auguste auf der Stelle wie das weiße Batist der Taschentücher hätte erbleichen lassen.
Die Baronin hatte zu mit der Großtante der Comtesse bei einer Partie Bridge über das Glück des jungen Barons geflüstert. Es wäre eine vorteilhafte Verbindung für beide Familien, wenn die Comtesse und der Baron sich vermählen und in ehelichem Glücke fruchtbar für den Fortbestand sorgen würden. Sie hatten die weißen Köpfe über einem Gläschen stärkenden Sherry zusammen gesteckt und sich alles auf’s Vortrefflichste ausgemahlt.
Nun weilten die Familien im weitläufigen Residenzschloss, es sollte Verlobung gefeiert werden. Der Baron hatte dem scheinbar keusch errötenden Comtesschen den Ring seiner Mutter mit sanfter Gewalt über den schwellenden Fingerring gedrückt und sie mit zackig aneinanander knallenden Hacken um ihre Hand gebeten, nicht, ohne vorher den Vater der Braut mit der Vorausfertigung der Übertretungsurkunde beglückt zu haben.
„Oh, gewiss doch, wenn ich darf,“ hatte sie gehaucht, als er sie nochmals gefragt hatte. „Ja, ja, ja..!“
Die Nacht war herein gebrochen, der Ball zu Ehren der frisch Verlobten war mit einem Feuerwerk zuende gegangen.
In tiefem Schlummer lag das Schloss und seine Bewohner.
Die Comtesse erwachte, weil sie ein dringendes Bedürfnis verspürte. Sie weckte ihre französische Kammerzofe Juliette, die ihr das Töpfchen reichen sollte. Mit Schrecken bemerkte das junge Ding, dass keines der unaussprechlichen Gerätschaften im Zimmer zu finden war.
„Oh, Comtesse, was sollen wir nür tüün?“ „Vielleicht haben sie hier schon diese modernen Wasserkastenkabinette,“ versetzte diese missgelaunt. Die Zofe reichte zitternd einen köstlich bestickten Morgenmantel. „Hier nehmt den italienischen Seidenmantel, Comtesse.“
Missgestimmt begab sich die sonst so Kecke auf die Suche. Lange Gänge durchmaß sie auf ihrer Suche, Antichambre um Antichambre, Saal um Saal. Schließlich fand sie doch das, was sie suchte, in einem Kabinett am Ende des Ganges. Ebenso erleichtert wie der mächt’ge Strom am indischen Ozean fühlte sie sich auch, als sie geendet hatte.
Das kesse Comtesschen machte sich auf den langen Rückweg. Saal um Saal durchmaß sie wieder, Antichambre um Antichambre, Gang um Gang.
Schließlich wähnte sie sich wieder vor der Eingangstür zu ihren Gemächern. Just in diesem Momente verlosch durch einen heftigen Windzug die Kerze, die sie in der vor Kälte zitternden Hand hielt. Sie erstarrte wie die Marmorfiguren auf dem langen Gang. Hätte sie besser bei den Nonnen und bei Pater Ralph aufgepasst, hätte sie sich wenigstens merken können, welche Figurine vor ihrer Tür Wache über ihren Schlaf gehalten hatte.
Nun musste sie sich ganz auf ihre sonstige Kessheit verlassen. Leise drückte sie die Klinke herunter und schlüpfte in das dunkle Gemach. Dort stand das große Bett mit dem Baldachin über den Eichenpfosten.
„Nun denn, es ist vollbracht,“ dachte sie und schlüpfte unter die Bettdecke. Schon wollte sie einschlafen, als sie bemerkte, dass nicht die Zofe Juliette das Bett warm gehalten hatte. War das der Mops Helmut? Sie streckte die kalten Füße aus und erstarrte. Der Mops hatte noch nie so lange Beine sein eigen genannt.
Der Baron war erwacht, als eisige Füße seine Beine entlang fuhren. Welcher Nachtmar narrte ihn da nur? Auch er erstarrte genauso wie die kesse Comtess, als er bemerkte, dass er nicht mehr alleine im Bett war und dieses gewisslich auch nicht sein Diener Gustaf war. „Herrschaft, haben Sie kalte Füße,“ entfuhr es ihm.
Die Comtesse kreischte kurz, bevor sie aus dem Bett sprang und bereits aus der Tür heraus war.
Auf dem Gang begann sie leise zu kichern. Gewiss war dieses der Herr Verlobte gewesen, nun konnte er nie mehr zurück, denn sie gedachte, diese unschuldige Geschichte morgen tränenüberströmt der Mutter zu berichten. Diese würde gewisslich sofort die Hochzeit arrangieren, damit die Ehre der Tochter gewahrt blieb.
Da sah sie aus dem Zimmer am anderen Ende des Ganges ein Nachtlicht auftauchen, welches die getreue Juliette in den Händen hielt.
„Comtesse, ich ‚ab‘ mir groß‘ Sorge‘ gemacht,“ wisperte die Französin. „Alles ist gut,“ versetzte die Comtesse mit einem schwer zu deutenden Lächeln.
Glücklicherweise hatte die Comtesse ihr Hochzeitskleid bereits anfertigen lassen und war nun auf’s Beste gerüstet.
Und so wurde die Hochzeit schnell und in aller Stille, mit kaum 178 Gästen am nächsten Tag gefeiert.
Hätte Auguste dieses geahnt, allein‘, das Herz wär‘ ihr im Leibe zersprungen!
buchstäblich
Doch noch saßen Auguste und Margot mit der Signora auf dem großen Balkon.
Die Signora lauschte den Plänen der beiden, meinte aber dann, in Milano hätten sie als Frauen aus dem Ausland kaum eine Chance, auf dem gehobenen Textilienmarkt dort Fuß fassen zu können. Viel zu sehr sei die dortige Männerclique auf einander eingeschworen, die für Frauen nichts übrig hatte, als ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Dies sei doch daran zu erkennen, dass die Kreativen der Mailänder Modewelt stets Kleider entwarfen, in denen Frauen kaum atmen konnten, geschweige denn einen Teller Pasta essen.
Auf diesen Rat hin beschlossen unsere beiden, lieber Walburgas Apanage in ein heimatliches Geschäft auf soliden Füßen zu stecken, und nach und nach mit den Gewinnen aus den englischen Textilwerken auszubauen.
Gesagt, getan, machten sie sich am nächsten Tag nach herzlichem Abschied von der Signora, der sie aber viele Briefe versprechen mussten, auf den Weg zum Bahnhof. Eigentlich waren sie erleichtert, denn nach Mailand hätten sie wieder die Kutsche nehmen müssen, war doch noch keine Eisenbahn dort hin gebaut worden.
So saßen sie bald wieder im Zug Richtung Norden, im Abteil über ihre Musterbücher gebeugt und eifrig schwatzend über die neue Geschäftsidee.
Richensa
Keuchend und schnaufend fuhr der Zug in den Bahnhof ein.
„Margot, die Koffer und unser Necessaire, das Plaid und der Picknickkorb, die Musterbücher und die Stoffproben“ rief Auguste erregt. „Wir müssen allhie‘ umsteigen.“
„Gemach, gemach,“ versetzte die ruhigere von beiden. Sie zog flink ihren in durchbrochener Häkelarbeit angefertigten Handschuh von der rechten Hand und hob zwei Finger an die zarten Lippen. Ein Pfiff gellte über den Bahnsteig. Erschrocken blickte Auguste zu ihrer Freundin. Hatte diese Fähigkeiten und Kenntnisse, von denen sie, Auguste, noch gar nichts ahnen konnte? Sie hatte allerdings wenig Zeit, über diesen Gedanken nachzugrübeln, denn schon standen zwei kräftige Kofferträger vor dem Waggon.
„Hurtig, Gesellen,“ hub Margot an. „Wir müssen den Zug nach…….“ Sie verstummte, denn just in diesem Augenblicke ward sie des Bahnhofsschildes gewahr. Dort, wo „München“ hätte stehen sollen, auf dem weißen Grunde, dort stand in großen Lettern „Davos“. Wie war das möglich? Kein Schaffner hatte sie wegen ihrer Billetten behelligt, kein Zöllner in ihren weißen, zartgerüschten Unausprechlichen gewühlt.
Die beiden Damen hatten nicht bemerkt, dass sie, als sie in dem vorletzten Waggon Platz genommen hatten, in den Privatzug des Botschafters des Heiligen Stuhls, Monsignore Dionigi Kardinal Giussani gestiegen waren. So waren sie unter dem Schutz der heiligen Mutter Kirche ohne Grenzkontrollen in die Schweiz gelangt.
Davos, sollte dies ein Zeichen sein?
Der Abend brach schon herein, die Sonne senkte ihr gleißend Antlitz auf die Berge um den kleinen Ort. Auguste und Margot ließen sich von einer Lohndroschke in die zauberhafte Fremdenpension „Annerose“ bringen, um sich am nächsten Morgen in dem berühmten Luftkurort umzusehen.
„Margot, wir könnten hier unsere feinen Taschentücher mit den Häkelspitzen fertigen und sie mit roten Rosen besticken.“ „Eine feine Idee, Auguste, dann sieht man nicht die kleinen Bluttröpfchen nicht so schnell, die manche Dame hier hustet.“
Zufrieden zogen sie sich in ihr Zimmer zurück und schliefen Arm in Arm ein.
buchstäblich
Am nächsten Morgen stellten Auguste und Margot jedoch fest, dass das tiefrote und das augustenrosenwangenroséfarbene Stickgarn ausgegangen waren, und so eilten sie aus dem Haus, der Kurzwarenhandlung zu.
Diese befand sich in einer Gasse jenseits des Davosschen Marktplatzes, auf dem schon muntres Treiben herrschte. Sie bahnten sich den Weg zwischen Hühnerkörben, Kartoffelstiegen und tratschenden Hausmädchen hindurch, als Auguste mit einem „Huch!“ versteinerte. Leichenblass ward das arme Kind, und Margot war in Angst, die Freundin könnte in Ohnmacht fallen. hatte es doch in der Nacht zuvor geregnet, und die seidenen Röcke wären ruiniert, wenn Auguste damit in einer Pfütze läge.
Doch schon atmete Auguste wieder aus, wenn auch bebend. „B-b-b-b-b-bodo!“ deutete sie zu einem Früchtestand in der Nähe.
Da stand er – der junge Baron Bodo, er, der weiland ihr Herz im Sturm erobert hatte und biss herzhaft in einen Apfel. Sie hatte sein Bild aus ihrem Herzen zu tilgen verssucht über viele Monate, und nun stand er dort, Verführung pur.
Richensa
Noch während Auguste mit sich uneins war, was sie nun tun sollte, als ihr gleichzeitig heiß und kalt wurde, als sie noch drohte, in einer tiefen Ohnmacht zu versinken, drehte sich der Baron in ihre Richtung.
Margot hielt der Bebenden ein feines Batisttüchlein, welches mit Veilchenduft getränkt war, an die schweißfeuchte Stirn und zog schnell den kleinen, vanillefarbenen Sonnenschirm herunter, damit Auguste dem Baron kein Schauspiel ihrer Begehrlichkeit bieten konnte. Margot indes schaute über den mit feinem Lochmuster bestickten Rand des Sonnenschutzes hinweg.
„Ei verbibbscht,“ entfuhr es ihr.
„Margot, was siehst du, Margot, lass mich hier nicht im Ungewissen, Margot, hat er uns gesehen?“ Die Fragen sprudelten nur so heraus aus der ungestühm Liebenden.
Die in so kurzer Zeit zur Vertrauten gewordene seufzte leise. „Augustchen, wenn du mir versprichst, tapfer zu sein?“ „Was ist denn, liebste Freundin?“ „Nu, mich dünkt, dass das nicht seine Schwester ist, die sich auf seinen starken Arm stützt und auch nicht die Mutter und schon gar nicht die Großtante.“
Vorsichtig ließ sie den Schirm sinken. Auguste presste das Taschentuch vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien. Dort stand, in fliederfarbenes Musselin gehüllt, mit einem schicken Hut angetan, ihre ärgste Feindin. Die, die ihre Familiengeschichte überall herum erzählt hatte, weil sie heimlich die Korrespondenz zwischen der Mutter Oberin und dem Lübecker Marzipanmagnaten, der ihre unglückliche Mutter so sehr geliebt hatte und sich um sie, Auguste, die Tochter kümmerte, gelesen hatte.
Der Baron schaute seine Frau verliebt an, er hatte nicht den namenlosen Schrecken der beiden jungen Frauen nur wenige Schritte von ihm entfernt, bemerkt. „Bodo, Liebster,“ säuselte die Kecke ihm ins Ohr. „Lass uns in unser schönes Hotel zurück kehren, Tante Gerda wird gleich ihre Anwendungen beendet haben und dann können wir schön lecker Mittach essen.“ Der Baron erbleichte bei der Vorstellung, schon wieder mit dieser schlecht erzogenen, unglaublich streng riechenden, aber schier unermessliche reichen Tante seiner reizenden Gattin zusammentreffen zu müssen. Aber nun denn, ihr gehörten sieben Kohlezechen zwischen Dortmund und Gelsenkirchen.
buchstäblich
So trottelte Bodo hinter seiner Gattin her, die stracks auf Margot und Auguste zuhielt, und weil Margot zurückweichen musste, als eine Bauernmagd einen Karren Kohlköpfe durch eine Pfütze schob, dass es nur so spritzte, war die Deckung durch das Schirmchen dahin.
„Nein, wenn das nicht die Auguste ist!“, giftete die Comtesse, und Bodo schaute auf. Das war doch dieses liebreizende Fräulein, das ihm einst begegnet war, oder? „Fräulein Auguste! Welche Freude, Sie hier zu sehen! Sind sie auf Reisen?“.
„Ich darf Ihnen meine Reisegefährtin Margot vorstellen! Doch müssen wir uns leider sputen, wir werden erwartet!“, zog Auguste Margot fort aus der enervierenden Situation.
Rasch kauften sie ihre Stickgarne, dann eilten sie zu ihrem Zimmer zurück, wo Auguste Margot ihre Herzensnot schilderte.
„Und was willst du jetzt tun? Dieser Schnepfe den Platz überlassen und „Jungfrau“ auf den Grabstein meißeln lassen? Oder willst Du den Kampf aufnehmen um das Herz des Allerliebsten?“
Richensa
Verzagt antwortete Auguste: „Liebste Margot, er ist nun mit meiner ärgsten Feindin verheiratet, die jung ist, eine Natur wie ein masurischer Karpfen, ebenso dumm ist, aber ihn mit einer hinterlist’gen List zu ihrem Ehemann gemacht hat. Sie hat gewonnen. Auf meinem Grabstein wird nur stehen, dass hier Auguste mit geborstenem Herz liegt.“
„Nein, eher will ich wieder in die Herberge in Brixen zurück gehen, als dich diesem Schicksal anheim fallen zu lassen.“
„Aber was willst du denn machen?“ „Lass mich nur,“ Margot lächelte still vor sich hin. „Wir bleiben hier und lassen uns etwas einfallen. ICH lasse mir etwas einfallen. Fangen wir schon einmal an, die Taschentücher zu fertigen, Liebes.“
Auguste wischte die Tränen fort, die bereits auf das zarte Gewebe in ihren Händen getropft waren.
Nach wenigen Tagen bereits hatten sie ihre ersten Kundinnen gewonnen, die die zarten Handarbeiten den beiden fast aus den Händen rissen, kaum dass sie den letzten Faden abgebissen hatten. So lernten sie auch bald die Großfürstin Olga kennen, die hier mit ihrem greisen Ehegatten zur Sommerfrische war. Die Ausdünstungen von St. Petersburg und die vielen Schwangerschaften hatten die muntre Matrone gelangweilt und so waren sie zu dieser Reise aufgebrochen. Die beiden jungen Damen waren von der unkonventionellen Frau zum Tee in ihr Ferienhaus, welches eher ein Schloss war, eingeladen worden.
Während der Samowar leise simmerte, hatte sie ihnen gleich belustigt von ihrem Mann erzählt, der einer jungen Baronin, die wohl seine Tochter hätte sein können, einen unendlich kostbaren Silberbecher mit Edelsteinen geschenkt hatte. „Das dumme Ding,“ lachte sie. „Sie hat sich gerade einen schmucken Baron geangelt und lässt sich von meinem Vladimir Geschenke machen.“ Auguste und Margot tauschten wissende Blicke aus. Ihr Butler reichte den Damen auf zarten Porzellantellern hauchfeines Gebäck mit einem Teelöffelchen feinstem Kaviar, garniert mit einer Dillspitze.
Fürstin Olga beugte sich vor. „Man erzählt sich auch, dass ein schwerreicher englischer Tuchindustrieller ihr den Hof macht und ihr einen Tuchballen nach dem nächsten schickt. Wie vulgär, nicht wahr?“ Eifrig nickten die Mädchen. „Das hat Baron Bodo von Boddelschwung nicht verdient,“ stieß Auguste düster hervor.
Margot hatte bereits einen Plan, von dem sie Auguste nichts zu berichten gedachte. Sie wollte der Komtesse eines Taschentücher unterjubeln, in welches zuvor ein Patient der Lungenklinik hineingehustet hatte.
Als Auguste schon lange schlief, dachte Margot noch lange über ihren Plan nach.
buchstäblich
Als die Sonne sich auf ihren Weg über Himmel machte, schlüpfte Margot leise aus dem Bett und stahl sich fort zum Kurhaus. Dort trafen sich morgens die Siechen der örtlichen Lungenklinik, um mit dem Trinken von Heilwasser Linderung für ihre schwindsüchtigen Lungen zu finden.
Sie musste gar nicht lange warten, bis eine Nonne in Karthäuserinnentracht mitten im Trunke zu Husten begann, dass es einen nur so dauern konnte, Margot eilte hinzu und reichte der Leidenden ein Rosentaschentuch aus ihrem Pompadour, dass diese sich sogleich eilends vor den Mund hielt, um ihr Sputum aufzufangen.
Nach dem Hustenanfall dankte die Karthäuserin artig und reichte der behandschuhten Margot das Tuch zurück, dass diese unauffällig in das Kuvert in ihrem Beutel stopfte. „Vergelt’s Gott!“, segnete die Nonne die bereits hinfort eilende Margot, die mit zufriedenem Lächeln den Weg zu Auguste einschlug.
Diese erwachte gerade, als Margot ins Zimmer schlüpfte. Margot zog das Kuvert hervor, schwenkte es siegessicher und legte es abseits auf die Fensterbank. Sodann schickte sie sich an, den Pompadour und ihre baumwollnen Handschuhe in weißen Essig zu legen, damit die Saat der Krankheit nicht die Falschen treffen könne.
Dann steckten die beiden Damen die Köpfe zusammen und Margot berichtete ihr, was es sich mit dem geheimnisvollen Kuvert auf sich hatte und was sie damit zu tun gedachte.
Richensa
„Oh Margot, das kann ich nicht tun. Was würde die liebe Mutter Oberin dazu sagen?“ Auguste schüttelte die Locken, die noch unter der Nachthaube verborgen waren. Margot verdrehte die Augen, aber so dass die bleich gewordene Auguste es nicht sehen konnte. Nun gut, dann würde sie eben alleine gehen.
Sie hatte sich den Plan schon zurecht gelegt. Die Großfürstin Olga würde ihre unwissende Komplizin sein, denn die Russin hatte Auguste und Margot wiederum zum Tee geladen. Margot gedachte, sich unter einem Vorwand zu verabschieden und dann…..
Nachdem Auguste sich standhaft geweigert hatte, weiter von Margots Plan zu hören, hatte die ruhige Braunhaarige sich zurückgezogen und sich vorbereitet. Stunde um Stunde hatten sich die Freundinnen wieder über ihre Taschentücher gebeugt und die wunderbarsten Bilder auf das helle Gespinst gestickt.
Schließlich war die Stunde der Einladung herangerückt. Eine prächtige Kutsche mit vier rassigen Rössern hielt vor dem hübschen Hotel und die beiden Damen kamen, hübsch angetan, schnell die wenigen Stufen herunter. Ein Don Kosack hielt ihnen die Equipagentüre auf und nur wenige Augenblicke später brauste das Gefährt hinfort.
„Meine lieben Mädchen, wie schön, dass ihr kommt,“ die Fürstin lud sie mit einer Handbewegung ein, bei ihr auf dem lang gestreckten Sofa Platz zu nehmen und winkte gleich die Diener mit dem Samowar und den Konfektschalen herbei.
„Liebste Fürstin,“ sagte Margot, nachdem sie die dritte Tasse Tee getrunken hatte, „ich habe meinen Handarbeitsbeutel vergessen. Gestattet, dass ihn geschwind hole.“ Als die Fürstin huldvoll ihrer jungen Freundin zunickte, eilte diese behende aus dem reich geschmückten Zimmer und bevor der Kutscher anspannen konnte, war sie verschwunden.
Der Baron Bodo von Boddelschwung und seine Gattin saßen auf dem Südbalkon ihrer Zimmerflucht, die ihnen die Tante Gerda zugewiesen hatte. Bodo starrte gelangweilt auf die Buchstaben in der Zeitung, nach nur wenigen Wochen Ehe mit der Baroness fragte er sich, ob sein restliches Leben so weiter verlaufen würde. Tante Gerade immer dabei? Er runzelte die Stirn, als der Diener seiner Tante Besuch meldete. „Euer Gnaden, hier ist die Taschentuchverkäuferin, die eurer Gattin die Bestellung liefern möchte.“
„Oh ja,“ rief die Baroness. „Ich habe schon den ganzen Tag darauf gewartet, es ist der letzte Schrei, ein Taschentuch von M & A zu haben. Ich will die ganze Kollektion haben!“
Der Baron stand auf und ging in sein Zimmer, um sich ein Schlückchen Whiskey zu gönnen.
Währenddessen glitt Margot durch die Zimmerflucht und begab sich auf den Balkon zur Baroness. Als diese ihrer gewahr wurde, runzelte sie kurz die reizende Stirn, sie hatte das Gefühl, die junge Frau in dem eleganten italienischen Nachmittagskleid schon einmal gesehen zu haben.
„Eure Ehrlaucht, darf ich euch unsere kleine Kollektion zeigen? Wir haben einmal die Serie „Bergblumen“ und dann die Serie „Alpenglühen“ und schlussendlich „Kühe unserer Heimat“. Und damit sie von Anfang an unsere Tüchlein besonders schätzen, haben wir sie mit dem Duft der Abbildungen parfümiert.“
Und schon zog sie dasjenige Tüchlein aus dem Stapel, welches sie so vorsichtig versteckt gehalten hatte. Sie hielt es der Baroness hin, die es an sich nahm und daran ausgiebigst schnupperte.
„Sehr schön, ich will alle drei Serien haben. Dieses hier behalte ich gleich hier!“ meinte die Baroness mit Bestimmtheit in der der Stimme. Sie sog den Duft ein, noch und nöcher, nicht ahnend, dass der Tod leise in ihr Boudoir getreten war.
buchstäblich
Während der Hauch des Verderbens sich langsam in ihrem Inneren auszubreiten begann, stöberte die Comtesse begeistert in den zarten Tüchlein, nicht ahnend, dass sie in der nächsten, ihr noch verbleibenden Zeit noch viele davon mit ihrem Blute netzen würde.
So war es denn gut, dass die feinen Stickarbeiten sie so sehr begeisterten, dass sie gleich den ganzen Stapel kaufte, auch um anderen Damen zuvorzukommen, die sich giften würden, für die Taschentüchlein auf der Warteliste zu landen und sich noch nicht mit diesem plötzlich so wichtigen Accessoire der neuesten Mode schmücken konnten.
Dieweil nistete sich das böse kleine Tuberkel in einer Nische ihrer Lungen ein und begann sich auszubreiten.
Richensa
Alldiweil saßen die beiden fleißigen Lieschen wieder über ihren Musterbüchern und überlegten, mit welchen Handarbeiten sie weiterhin die Damen in Davos erfreuen konnten. Inzwischen hatten sie drei Stickerinnen angestellt, die in einem hübschen Zimmer am Ende des Ganges saßen und eifrig stichelten. Die Serien „Bergblumen“, „Alpenglühen“ und „Kühe unserer Heimat“ waren seit Tagen ausverkauft, derweil liefen „Geißen unserer Alpen“, „Geißenpeter und Heidi“ und „Heidi und ihre Verwandten“ sehr gut an.
Bald würden Auguste und Margot eine eigene Manufaktur eröffnen können, der sie eine Schule für Mädchen anschließen wollten, denn sie hatten bemerkt, dass ihre Stickerinnen einen bedauerlichen Mangel an Bildung verfügten.
Bodo Baron von Boddelschwung betrachtete wenige Wochen nach dem bedeutungsvollen Einkauf seiner Gattin diese beim Frühstück. Sie sah blass aus, unwohl befand er.
„Liebes,“ fragte Bodo vorsichtig. „Du wirkst unwohl, ist dir nicht gut?“
„Ach Bodo, ich fühle mich immer so müde, ausgelaugt von den vielen Teeeinladungen bei Tante Gerda.“ „Könnte Dir eine vertraute Gesellschafterin etwas Aufmunterung bringen?“
„Danke sehr, Tante Gerda reicht mir vollkommen aus,“ gab sie spitz zurück. Bodo schwieg und verschanzte sich wieder hinter seinem „Davoser Blatt“.
Tag und Tag lag die ehemals Kesse, nun blasse Baroness auf den aus einem speziellen Rattanrohr geflochtenen, mit Fellen belegten Liegebetten und hustete, immer wenn sie meinte, dass Bodo es nicht sehen würde, in ihr Taschentüchlein.
Tante Gerda war das Siechtum der jungen Nichte nicht entgangen, hatte sie zwar noch zunächst gehofft, dass die Lustlosigkeit auf einen kommenden Nachkommen hindeuteten. Sie sah ein, dass sich die Nichte einen ordentlichen Lungenarzt konsultieren sollte.
Der Doktor Spengler musste eingeladen werden, um der Nichte die Brust abzuhören.
Schon am nächsten Tag kam der stille Mann schweigend aus dem Boudoir der Baroness zurück in das Teezimmer von Tante Gerda.
„Nun denn, ich fürchte, dass es sehr ernst ist. Die Baroness von Boddelschwung muss sich streng an die Kur halten, am besten für das nächste halbe Jahr hier bleiben.“ Bodo und Gerda schauten sich erschreckt an. „Um Himmels Willen, Herr Doktor, habe ich ihrem Zustand in’n Schuld,“ fragte Gerda von Zechstein erschrocken. „Ich weiß nicht genau, wo sich ausgerechnet hier, im Heilklima von Davos ihre reizende Nichte angesteckt haben soll. Wahrscheinlich hatte sie den Keim der heimtückischen Krankheit schon in sich, als sie hierher kam.“ Bodo hingegen dachte an die Nacht, als sie mit ihren eiskalten Füßen in sein Bett gekommen war. Sollte sie sich damals das todbringende Lungenleiden erschlichen haben? Wo war sie überhaupt her gekommen? Hatte sie in jener Nacht noch andere Betten als das ihrige besucht? Was hatte ihn eigentlich dazu gebracht, diese Frau so schnell und ohne ausreichendes Wissen über ihren Leumund eingeholt zu haben, zu heiraten.
Ihm schwindelte, als er über die Möglichkeit nachdachte, eine Andere geehelicht zu haben, eine die ihm durch ihre Zartheit an jenem einen Nachmittag in dem stillen masurischen Kloster aufgefallen und die vor nur wenigen Wochen hier unvermutet auf dem Markte wieder in seine Gedanken getreten war. Auguste… er hatte sie seitdem nicht mehr gesehen, wusste aber über Tante Gerda, dass sie hier inzwischen ein kleines Gewerbe mit angeschlossener Mädchenschule betreute. Ob er sie doch mit der Aufgabe als Gesellschafterin seiner Gattin betrauen konnte? Ihre stille Einfachheit musste der Baroness doch einfach guttun. „Und mir auch“, fügte er nach einer Weile in Gedanken hinzu.
buchstäblich
Und so geschah es, dass er tags darauf Augusten seine Aufwartung machte, um ihr sein Anliegen anzutragen.
Zwar klopfte Augustens Herz gleich schneller bei der Vorstellung, nun Tag für Tag Zeit im Hause des Angebetenen verbringen zu können, doch die Schicklichkeit gebot es ihr, eine gewisse Zögerlichkeit an den Tag zu legen, indem sie Sorge um ihr Geschäft vorschützte. Doch Baron Bodo versicherte ihr, sie könne jederzeit ihrem Geschäfte nachgehen, indem sie ihren Handarbeitsbeutel mitbrächte. Ihm sei ja nur daran gelegen, dass seine Gattin nicht vereinsame in ihrem Siechtum, und er würde mit Freuden einen Sticktisch beim Lager der Schwindsüchtigen errichten lassen. Auch würde er reichlich Gefäße mit Essigwasser aufstellen lassen, auf dass Auguste sich nicht am Keime des Verderbens anstecken könnte. Denn er hatte bei der Lektüre seiner Zeitungen natürlich den Bericht über die Zeiten der Pest in Düörpm gelesen, aus dem hervorgegangen war, dass Ärzte, die einen Essiglappen vor dem Munde trugen, sich mit der Pestilenz nicht hatten anstecken können, weil der saure Sud das Übel nicht in die Lungen gelassen hatten.
Auch dürfte Margot jederzeit zu Auguste vorgelassen werden, um dringende Geschäfte mit ihr besprechen zu können.
So schlug sie ein, und gleich am nächten Tage begann sie ihren Dienst, auch wegen des großzügigen Salärs, dass Auguste versprach, die Mädchenschule viel eher errichten zu können, als zunächst angedacht war.
Und Margot, ach Margot, die sah man nun öfters am frühen Morgen bei dem Brunnen, wo sie immer wieder gern bereit stand, hustenden Siechen ein Taschentuch zu borgen, für den Fall, dass Dr. Spenglers Medizin zuviele Keime schwinden ließ, auf dass die Schwindsüchtige auch tatsächlich bald schwinden möge.
Richensa
Und als Todesengel besuchte sie Auguste, die stets ein Läpplein mit Essig bei sich führte, um sich zu schützen, winkte ihr liebevoll zu und beugte sich, wenn Auguste die Zeit nutzte, kurz ins heimlich Gemach, den Abtritt, zu verschwinden, über die Kranke, reichte ihr lächelnd noch ein Tüchlein mit frischen Keimen, ohne dass irgendjemand sonst von dem perfiden Plan ahnte.
Alle Macht der Medizin schien wirkungslos, so dass der Baron, die sorgenvolle Tante und alle weiteren Bekannten die Suite der Baroness mieden wie der Teufel das Weihwasser. Nur der getreue Doktor, seine schweigenden Krankenschwestern mit den großen Hauben, die aussahen wie mächtige Schwingen des Todes und Auguste verweilten am Bett der einst so Lebenslustigen, die nicht mit Gemeinheiten sparte.
Eines Morgens begab sich der Doktor nach der Visite zum Baron, um ihn davon zu überzeugen, dass es das Beste wäre, wenn man die Kranke noch weiter ins Gebirge hinauf brächte, dorthin, wo die Geißen lustig umher sprangen, wo die Senner die Milch zu Käse verzauberten und die Herzen der weiblichen Reisenden aus der ganzen Welt in der Sonne schmelzen ließen. „Meint Ihr wirklich, Herr Doktor, dass meine Gattin den Anstrengungen der Reise gewachsen sein wird?“ fragte Bodo vorsichtig. „Gewiss doch, Durchlaucht, sie hat einen zähen Willen und wir haben hier jede Menge Trageesel, die noch jeden auf den Berg gebracht haben,“ erwiderte der Mediziner freundlich. „Und manchen in tiefe Gletscherspalten, das kostet aber extra,“ fügte er in Gedanken hinzu.
„Nun gut, dann will ich alles veranlassen, auch eine Menge Esel braucht es, damit meine Gattin alles zu ihrer Bequemlichkeit mit sich führen kann.“
Der Arzt verabschiedete sich schnell, er hatte noch viele reiche Patienten zu behandeln, außerdem gedachte er, endlich die neuen Skieer auszuprobieren.
Währenddessen trat der Baron in das Zimmer der Siechenden und sah, dass sie schlief. Er ahnte nicht, dass sie von einem kleinen Disput mit Auguste sehr erschöpft war, denn sie hatte Auguste gestanden, dass sie, die ehemals kecke Comtess gewesen war, die das Geheimnis Augustens Herkunft in ihrer Schule, dem stillen masurischen Kloster ausposaunt hatte. Auguste war fast ebenso blass geworden wie die Baroness siechenbleich war als sie deren Worte vernahm. „Ich weiß es längst, Ihr habt mich unendlich gekränkt, denn meine Mutter war ein unschuldig‘ Mägdelein, als der greise Bischof sie so unziemlich bedrängte und ihr im Beichtstuhle ihre Jungfräulichkeit raubte und sie an jenem kalten Dienstag zur Mutter machte. Meine Mutter wäre vor Kummer beinahe in die kalten Wasser der Trave gegangen, hätte sie nicht der Marzipanmagnat aus Lübeck gerettet und mein Leben gleich mit.“ Die Baroness war noch blasser als bleich geworden und hatte gemurmelt: „Wäre sie nur..“ Auguste hatte schmerzvoll aufgeschrieen und war weinend an ihrem Handarbeit zusammen gesunken. Heiße Tränen tropften auf den angefangenen Pulswärmer, den sie in ihrer Lieblingsfarbe „augustenwangenrot“ gerade für zwei Waisenkinder strickte, die sie und Margot in ihrem kleinen Haushalte aufgenommen hatten.
Dieses konnte Bodo von Boddelschwing nicht ahnen. „Auguste, liebes Mädchen, ihr tut meiner Gattin offensichtlich so gut, dass sie in eurer Gegenwart selig eingeschlummert ist. Ich möchte Euch einen Vorschlag unterbreiten: der Lungenarzt hat mir geraten, meine Gattin noch weiter in’s Hochgebirge zu schicken, auf einer Karawane leichtfüßige Esel wird ihr alles, was sie braucht in eine Almhütte gebracht. Ich wollte Euch nun bitten, mit ihr zu reisen und für sie zu sorgen. Ich werde, sooft es mir meine Angelegenheiten erlauben, zu Euch, Auguste, kommen und Euch auch etwas an Annehmlichkeiten bieten. Wollt Ihr, liebe Auguste also?“
Auguste ließ verschämt ihr Strickzeug in den Schoß sinken und lächelte so leise, dass der Baron schon fürchtete, man könne das metallene Klirren der zu Boden fallenden Stecknadel bis hinüber zum Rauchsalon vernehmen, wo Tante Gerda neben einer Tasse Tee auch noch eine Reihe kubanischer Zigarren verkostete.
Er hob das Niedergefallene auf und reichte es ihr. Die kleine Berührung seines rechten Zeigefinger elektrisierte sie so, dass sie über und über errötete. Nach einer kleinen Stille sagte sie: „Oh gewiss, wenn ich darf.“ Der Baron stand unvermittelt auf und verließ das stille Gemach, in welchem es so nach Essig roch.
Schon am nächsten Tag begannen die Vorbereitungen für die Reise. Esel um Esel wurde mit Kisten und Kästen beladen. Schließlich stand eine kleine Kutsche, welche die Sieche und ihre Gesellschafterin bis zur Baumgrenze in’s Gebirge bringen sollte. Hinter der Kutsche liefen zwei sanfte Eselinnen her, auf die die Beiden umsteigen sollten, sobald die Kutsche dem steilen Wege nicht mehr gewachsen sein würde.
So begann der Tag in Davos. Auguste brauchte nicht viel, sie gedachte nur ein neues Musterbuch und ihre Buntstifte mitzunehmen, sowie frisches Weißzeug für jeden Tag der Woche.
Als sie am Ende des Tages vollkommen erschöpft in der Sennhütte ankamen, die für die nächste Zeit ihr Zuhause sein sollte, waren ein wärmender Eintopf aus Almkräutern und Milch schon bereitet. Die Baroness, leichenblass, wurde schnell in das Heubett gebracht, welches so weich wie der Busen von Mutter Natur war. Auguste indessen schaute in den unendlichen Sternenhimmel und dachte bei sich: „Er ist so unendlich wie des Barons Augen tief sind. So blauschwarz, so…“ Selbst ihre Gedanken verstummten, nur ein warmes Pochen fuhr ihr in die Glieder.
buchstäblich
Doch wieder war es Margot, die vorausgedacht hatte. Zwar war sie im Tale geblieben, um die Geschäfte weiter zu führen und sich um die beiden Waisenkinder zu kümmern, doch sie war zu klug, um das weitere Geschehen dem Zufall zu überlassen.
So hatte sie das Schultertuch, dass Auguste um ihren Busen gelegt hatte, um der kühlen Höhenluft zu trotzen, präpariert, wohl wissend um die Fürsorglichkeit der treuen Freundin, die ihren Dienst an der Baroness mit zusammengebissenen Zähnen verrichtete.
Sie hatte eine Nadel in den Falten des Tuches verborgen, die mit dem Gift der Herbstzeitlosen getränkt war. Als nun Auguste das Heubett für die sieche Baroness richtete, fiel die Nadel zwischen die trockenen Halme, wo sie wohl verborgen dem weiteren Geschehen harrte.
Als Auguste die Schwindsüchtige auf das Lager bettete, bohrte die Nadel sich tief in den Unaussprechlichen der Baroness. Diese jammerte und winselte ob des Schmerzes, doch da sie den lieben langen Tag nichts anderes tat, als ihr Leid zu beklagen, wenn sie nicht grad über Andere herzog, konnte Auguste die Schmerzenslaute nicht mehr für ernst nehmen und beachtete sie nicht weiter. Sie deckte die Kranke gut zu, die durch den anstrengenden Transport ohnehin ein wenig fiebrig geworden war, und setzte sich nach draußen, auf die Bank vor der Tür, unter dem überhängenden Almhüttendach und dachte an Bodo.
So schlief sie ein, vom Liebsten träumend verbrachte sie die Nacht auf der Bank, kaum beachtet von Fuchs und Hase, die sich bei der hohen Fichte neben dem Haus Gute Nacht sagten.
Am nächsten Morgen erwachte sie von einem Sonnenstrahl, der sie an der Nase kitzelte.
Sie schrak hoch und eilte zum Bette der Baroness, die seltsam bleich in ihren Kissen lag. Auch regte sie sich nicht.
Panisch untersuchte Auguste die Baroness, doch diese atmete nicht mehr. Die lakenweißen Wangen hatten sie nicht getäuscht: Die Baroness war verblichen.
Richensa
Lang, sehr lang war der Zug, welcher der teuren Verblichenen auf einem ihrer letzten Wege folgte. Der Baron hatte wieder alle Esel gemietet, deren er habhaft werden konnte. So wurden die vielen Kisten und Kästchen, die mühevoll nur wenige Tage vorher auf den Gipfel geschafft worden waren, wieder nach Davos geschafft. Die ehemals so Kesse war totenbleich, totenstarr und totenstill, als sie in einer grob gewirkten Leinenhülle von zwei stummen Trägern ins Tal gebracht wurde.
Als Tante Gerda der Prozession gewahr ward, brach sie laut weinend zusammen, von ihrem Kammerdiener nur mühsam gehalten und auf ein zerbrechlich wirkendes Sofa geschafft. „Oh du gutes Kind, oh, ich versprach Deinen Eltern, gut für Dich zu sorgen, während wir mit deinem guten Ehemann umherreisen. Was soll ich ihnen nur sagen?“
Der Baron, der gute, hatte nur wenig geschlafen, zuviel musste noch für ein angemessenes Begräbnis gerichtet werden. Viele Ellen schwarzen Stoffes für die Trauerkleidung der Rösser, die seiner Gattin Sarg in einem offenen Landauer zu ihrer letzten Ruhestätte im Kirchlein des Ortes kutschieren sollten.
Zum Glück hatte aber auch hier die getreue Margot auf’s Beste vorgesorgt: dank der guten Verbindungen zu den englischen Tuchmüllern waren schon seit Wochen Ballen um Ballen, unauffällig in braunem Packpapier geschlagen, mit der Bahn über Rotterdam nach Davos geliefert worden. Nun war Margot die einzige, die diese prächtige Leichenschau ausstatten konnte. Auguste hatte sich ein paar Tage von dem Schock erholen müssen, dass ausgerechnet sie, die kaum einer Fliege etwas zuleide tun konnte, ihre Rivalin im Heubette hatte entdecken müssen.
Tante Gerda hatte sich dank der aufopfernden Pflege ihres Dieners Gustav schnell wieder gefangen und beaufsichtigte nun die Vorbereitungen.
Und so konnte sich Menschenalter später niemand erinnern, in Davos jemals so einen wunderschönen und geschmackvollen Trauerzug gesehen zu haben. Der Baron hatte ein Herz aus weißen Lilien, welches er mit kummervoller Miene hinter dem schwarzen Gefährt hinterhertrug, Tante Gerda ging, auf ihren Ebenholzstock mit dem silvernen Knauf und auf Gustav gestützt, neben ihm und trug ihre Trauer mit grimmiger Miene durch das Alpendörfchen. Fast alle Kurgäste gaben sich ein Stelldichein in der kleinen Herz-Jesu-Kirche und in so manches Taschentuch, welches von Margots und Augustens flinken Fingern prächtig bestickt worden war, wurde hinter vorgehaltener Hand leise hineingehustet an jenem so sonnenklaren Tag.
Als der schwere Sarg mit den Messingbeschlägen in das feuchte, viereckige Loch auf dem Kirchhof hinunter gelassen wurde, fielen sich der Baron und die ältere, kinderlose Verwandte leise schneuzend in die Arme, jeder des Anderen Stütze an jenem Tag inmitten der Schweizer Berge.
Auguste und Margot standen hinter der Kirchhofhecke und beobachteten das Trauerspiel, jede in ihre eigenen Gedanken versunken.
Am nächsten Tag klingelte die Türglocke, zu einer Stunde, in der sich offizielle Besuche nicht ziemten. Aber Auguste und Margot waren schon seit Stunden mit dem Herrichten der Frühstücke für ihre Waisenkinder beschäftigt. Die Köchin, die sich brummend angeschickt hatte, den Besuch vorzulassen, kam mit hochrotem Kopf wieder. „Fräulein Auguste, dort sind zwei Herren, die das Fräulein Margot sprechen wollen.“ Margot erbleichte und wandte sich ab. Hatte sie alle Taschentüchlein, die mit dem verräterischen Sputum vieler verschiedener Kranken benetzt waren, wirklich alle in ihrem Kamin verbrannt? Ob dieses schon Versicherungsdetektive waren oder gar welche von Scotland Yard?
Auguste band sich schnell die Schürze ab und winkte der Freundin, es ihr gleich zu tun. „Berta, geleite die Herren in die gute Stube, wir kommen sofort hinterher.“
Wieder vor sich hin brummend, ging die stämmige Spandauerin aus der Küche.
„Nun denn, dann wollen wir einmal sehen, wer uns zu dieser Stunde besucht, liebe Margot.“
buchstäblich
„Mr. Needlework! Mr. Fancywork! Welch eine Freude, Sie hier zu sehen. Was führt sie zu uns?“, rief Auguste fragend aus. Die beiden Gentlemen, denen sie ihre Musterbücher versprochen hatten, im Gegenzug zu dem Aufbau einer englischen Mädchenschule für arme Kinder, begrüßten die beiden Damen nach allen Regeln britischer Etikette, wie sie nur in Harrow, der wirklich stilvollsten aller englischen Schulen gelehrt wurde. Dagegen war Eton in seiner Holzigkeit das reinste Brettergymnasium.
„Ladies, die Schule ist errichtet und steht kurz vor der Eröffnung. Wir haben auf Ihre leidenschaftliche Rede hin, Fräulein Auguste, beschlossen, sie „Margot’s Pride – Elementary School of Knowledge and Needlework“ zu nennen. Deshalb wäre es reizend, wenn Sie, Fräulein Margot und Fräulein Auguste, zu den Einweihungsfeierlichkeiten anreisen würden, um eine Rede zu halten und das Lehrpersonal auf den richtigen pädagogischen Kurs einzunorden.“
Die beiden Damen sahen sich an. Ausgerechnet jetzt wäre eigentlich viel zu sticken gewesen, aber eine solche Gelegenheit konnte und wollten sich die beiden nicht entgehen lassen. London! Sie sollten London sehen! Und die Kinder könnten dort auch so vieles lernen – sie müssten mitkommen – gestickt und entworfen werden konnte auch im Zug und auf dem Fährschiff über den Ärmelkanal.
Nun denn, nachdem sie mit den Herren noch diverse Gurkensandwiches, hergerichtet von den flinken Wurstfingern der stämmigen Spandauerin, zu reichlich Tee mit einem Tröpfchen Sahne verspeist hatten, schlugen sie ein. Die Herren eilten von dannen, und Auguste und Margot begaben sich an die Reisevorbereitungen für sich und die Waisenkinder.
Richensa
Als sie schließlich die beiden Waggons, die sie aus dem Gewinn der schwarzen Stoffe für die Hingeschiedene hatten mieten können, mit all‘ ihrem Gepäck, mit den Kindern, der drallen Spandauerin und vielen Spezereien beladen hatten, gingen sie noch einmal durch das nun stille Haus in Davos, welches sie nie wieder sehen sollten.
Schon hatten sie den kleinen Garten betreten, in dem die Waisenkinder das erste Mal fröhlich gesungen hatten, als sie das Geräusch von sich nähernden Schritten, forsch und ohne zu zögern, im Haus hörten. Sie schauten sich an und harrten des Besuchers.
Der Baron, noch in seiner Trauerkleidung, war in das nun so stille Rund getreten und zu den beiden jungen Frauen getreten. „Wie ich höre, beabsichtigen Sie, uns zu verlassen?“
„Ja, eure Durchlaucht, wir haben ein Angebot aus England, welches wir unmöglich ablehnen können.“ „Aber meine Damen, Ihr habt soviel für mich getan, bleibt doch bitte.“
Margot schüttelte langsam den Kopf. „Nein, Eure Anteilnahme ehrt euch, aber wir müssen fahren. Die Kinder können nur mit unserer Hilfe ein ordentliches Englisch lernen… Sir!“
Er blickte zu Auguste. „Und Ihr? Auguste, bleibt bei mir und leistet mir Gesellschaft in dieser dunklen Zeit. Ich kann Euch auch bezahlen.“ Ungeschickt griff er in die Seitentasche des Gehrocks und zog ein Bündel italienischer Banknoten hervor.
„Aber das schickt sich doch nun wirklich nicht, dass ich euch in die Gesellschaft begleite, Eure Durchlaucht. Was sollen denn die Leute denken, so kurz nach dem Hinscheiden Eurer reizenden Gemahlin?“ Der Baron dachte kurz nach und nickte dann entschieden.
„Ich werde noch einige Tage hier bleiben und dann ebenfalls abreisen. Tante Gerda wird in die liebliche Gegend ihrer Kohlegruben zurück kehren, sie will die Streikenden endlich in ihre Schranken weisen. Ich hingegen könnte Euch nachreisen und dann vielleicht Euch ein getreuer Begleiter sein.“ Als er Augustes hingerissenen Blick sah und Margots erschreckten, drehte er sich abrupt auf dem Absatz herum und verließ gehetzten Schrittes den Ort, an dem er mitunter abends, ohne das Wissen seiner Frau und deren Tante, vorbei geschlichen war und in den erleuchteten Fenster das traute Beisammensein der beiden Frauen gesehen hatte, ihrem glockenhellen Stimmen gelauscht hatte, die den Waisenkindern Geschichten vorgelesen und mit ihnen das Abendgebet gesprochen hatten.
buchstäblich
Doch Auguste wollte sich nicht länger vom Schicksal hin und her beuteln lassen. Sie lief ihm nach, stellte ihn und überreichte ihm die Visitenkarte des Herrn Fancywork, die sie in ihrem Pompadour bei sich getragen hatte: „Hier könnt Ihr mich finden!“.
Sodann lief sie zurück zu Margot, die schon im Park wartete, wo der Wagen mit dem Gepäck stand, der sie zum Zug bringen sollte. Mit roten Wangen packte Azuguste ihre Stickarbeit aus, ein leinenes Einstecktüchlein für den alten Herrn Fancywork, das sie mit seidenen Fäden im Spaltstich verzierte, auch bekannt als Opus Anglicanum, als eine kleine Anpielung für ein neues Kapitel in ihrem Leben, mit dem der reizende alte Herr immerhin einiges zu tun hatte.
Über den Baron mochte sie momentan nicht mit Margot sprechen, wissend, dass diese nicht viel von ihm und seinen Zeitungen hielt.
Am nächsten Tag bestiegen sie in Calais das Fährschiff, dass sie über eine raue See schiffte, welches sie Stunden später erleichtert, vor allem um ihren Mageninhalt, verließen.
Richensa
Kaum hatten ihre zierlichen Füße auf englischen Boden betreten, traten die beiden Gentleman aus der Tuchbranche auf sie zu. „Dear Ladies, wir freuen uns unendlich, Sie endlich im schönen Britannien begrüßen zu dürfen.“ Lord Needlework verbeugte sich elegant vor Margot und Auguste, die noch etwas bleichgrünlich von der ungewohnten Seereise im Gesicht waren. „Dort hinten warten schon die Kutschgefährte, die Euch und Eure Waisenkinder weiter befördern werden. Wenn Ihr es wünscht, fahren wir mit Euch und lassen uns die Fahrt durch vieles Erzählen nicht lang werden.“
Unterdessen hatten sich die Kinder gruppiert und huben an, „God save the Queen“ zu Ehren der Regentin über das Commonwealth und Indien zu singen. Die beiden Herren stellten sich aufrecht dazu und sangen leise lächelnd mit.
So begann die Zeit in Großbritannien auf’s Beste für die Weitgereisten. Auch die kleinen Geschenke, die Auguste während der Fahrt noch rasch fertig gestellt hatte, erfreuten die beiden Herren.
Und wie sie versprochen hatten, waren die Herren ihren Versprechungen gehalten, die englischen Tuchmacherkinder waren in adrette Schuluniformen gekleidet und konnten gar schon das kleine Einmaleins fehlerfrei rezitieren. Schnell hatten sich auch die schweizerischen Waisenkinder an die Uniformen und den Linksverkehr gewöhnt. Und so hatten Auguste und Margot Zeit, mit Lord Needlework und Lord Fancywork die Musterbücher zu studieren. Einzig Berta murrte über diese fremdartige Sitte, rohe Gurken zwischen weiße Brotscheiben zu stecken und nachmittags, wenn in der Schweiz höchstens der Käse für das Raclette vorgewärmt wurde, diese zu braunem Wasser zu verspeisen. Außerdem fühlte sie sich immer merkwürdig gebläht, wenn sie davon naschte.
Baron Bodo von Boddelschwingh hatte eine schwere Zeit, nachdem die bunte Schar aus Davos abgereist war. Tante Gerda weilte inzwischen, zu seiner großen Erleichterung, wieder im Ruhrgebiet und hatte ihm aber zugesagt, der Baroness Besitztümer durch einige großzügige Überweisungen zu erweitern. Dennoch langweilte sich der Baron und beschloss, nicht ohne von Zeit zu Zeit einen angestrengten Blick auf das kleine Visitenkärtchen zu werfen, welches ihm Auguste verschämt zugesteckt hatte. Er würde nach Engeland reisen, ins Land der schönen Pferde und der langnasigen Frauen.
buchstäblich
Unterdessen lebten sich unsere beiden Heldinnen ein, arbeiteten bienenfleißig, und lernten in ihrer freien Zeit das schöne London immer besser kennen. Eines Tages machten sie mit den Kindern eine Landpartie vor den Toren der Stadt. Das Wetter war herrlich, eine riesige Blumenwiese bot Platz für ein geselliges Picknick, und so stellten sie die Kutsche unter einen Baum, wo das Pferd saftige Gräser und Blumen fand.
Wie sie so auf ihrer Patchwork-Decke saßen und manierlich ihre Sandwiches aßen, hörten sie Stimmen. Margot stand auf, weil man im hohen Gras so wenig sehen konnte. Auguste, die sitzen geblieben war, bemerkte aber sofort, dass in dieser Sekunde eine Veränderung mit Margot geschah.
Diese schaute mit großen Augen, weil in der Nähe ein Mann singend durch das Gras sprang. Ein großer Kerl war das, hochgewachsen, das blonde Haar wehte im Sommerwind, und er juchzte, Riesensprünge machend, über die Wiese, auf Margot zu, stolperte aber kurz zuvor und fiel lachend ins Gras.
Da Margot wie erstarrt war, sprang Auguste zu Hilfe, grüßte und half dem Herrn auf.
„Gurney, Ladies, Jack Gurney. Und man sagt, ich sei der 14. Earl of Gurney!“, stellte er sich, immer noch schnaubend und lachend, vor. Doch man bemerkte schon jetzt, dass er nur Augen für Margot hatte, die immer noch wie vom Donner gerührt schien.
Auguste schmunzelte im Stillen.
Richensa
Die Monate flogen nur so dahin, alle Waisenkinder sprachen inzwischen die Sprache ihres Gastlandes vollkommen fließend und wurden von der getreuen Berta jeden Abend in die kleinen Betten gebracht, wie Schneewittchen die sieben Zwerge versorgt hatte.
Auguste und Margot hatten einen Teil der Saison in London verbracht, wo ihre zierlichen Handarbeiten auch wie im Fluge die Auslagen der feinen Geschäfte eroberten. Keine Dame, kein Herr der Gesellschaft, die sich nicht mit den zart gesäumten Kostbarkeiten den Nase schneuzte oder ihr Laudanumfläschchen damit vor allzu neugierigen Augen verbargen.
Sogar die Queen, so sagte man, habe sich einige der Spezereien bringen lassen und versuchte, die feinen Muster nachzuhäkeln. Ihre Familie wurde stets mit kleinen Geschenken, die die Monarchin selbst herzustellen pflegte, bedacht. Leider waren sie bei weitem nicht so wunderbar wie die Früchte Margottens und Augustens Finger.
Bodo von Boddelschwingh war inzwischen auch in der Stadt der mächtigen Matrone angelangt. Er war im Hotel Berkshire abgestiegen und hatte sich vom Erbe seiner so unvermutet Dahingeschiedenen eine schöne Zimmerflucht gemietet und pflegte sich gerne am Kartentisch und beim Pferderennen zu zerstreuen, leider nicht sehr erfolgreich.
Als er eines Morgens mit roten Augen vom Spieltisch des Lord of Chesterwickshire aufstand, musste er sich eingestehen, dass er schon wieder weit über seine Verhältnisse verloren hatte. Er musste erst einmal wieder einen klaren Kopf bekommen und beschloss, einen Spaziergang im Hyde Park zu unternehmen.
Mit großen Schritten durchmaß er den Park, tief in Gedanken versunken, zum einen um seine finanzielle Situation, zum anderen um seine familiäre. Er brauchte einen Erben, soviel hatte sein Vater ihm erst in seiner letzten Epistel unmissverständlich erklärt. Und er müsste bald in’s Land seiner Väter zurückkehren, um auch dem ruinösen Leben zwischen Spieltischen, Pferderennbahnen und den dunklen Gassen mit den willigen Damen zu entsagen.
buchstäblich
Nebel waberte über die Grünanlagen des Hydeparks, die Turmuhr schlug halb vier, als er über die Wege des Parks wanderte. An einer Hecke sprang schnell wie der Blitz ein Schatten aus dem Dunkel, und noch bevor er es sich versehen konnte, war der Schatten hinter ihm, ergriff ihn und ein heißes Gefühl in der Kehle war das Letzte, was er in seinem verpfuschten Leben spürte.
Am nächsten Mittag war London in Unruhe. Überall standen Zeitungsjungen an den Ecken und hielten ihre Ware feil, nur teilweise froh, heute ein gutes Geschäft zu machen. Denn die Botschaft, die sie, ihre Zeitung feilpreisend anboten, lautete: „Der Ripper schlägt wieder zu! Mord im Hyde Park!“. Angst ergriff die Stadt.
buchstäblich
Währenddessen erwachte der Baron hinter der Hecke. War er im Himmel? Nein, immer noch im Hyde Park, konnte er beruhigt feststellen. Aber sein Hals fühlte sich geschwollen an. Er tastete einen heiß geschwollenen Insektenstich, der ihn als geborenen Hypochonder wohl in die Ohnmacht geschickt hatte. Er hatte doch einen Schatten gesehen … Richtig, in seiner Nähe saß eine schwarze Katze mit einer toten Maus im Maul.
Und unweit von seiner nächtlichen Lagerstätte war unruhiges Treiben zu vermelden. Polizisten mühten sich, Londoner Bürger von einem abgezäunten Platz fernzuhalten, während Sherlock Holmes und Dr. Watson den Tatort mit großen Lupen inspizierten in der Hoffnung auf Täterspuren.
Diese Nacht veränderte Bodo – so konnte es nicht mit ihm weitergehen. Er war von sich selbst angewidert.
Richensa
Auguste und Margot hatten im Schatten der Sonnenschirme mit Klöppelspitze einmal mehr einen kleinen Gang durch den Rosengarten des Hydeparks gemacht. Hier und da hatten sich die Beiden einer schönen Blüte genähert und sie sanft um die Blüte gefasst und immer wieder begeistert geschnuppert.
Schließlich setzten sie sich auf eine der Bänke und winkten einen der Parkwärter herbei, damit er ihnen erzähle, was sich dort hinter der Umzäunung denn wohl abspiele. Angstvoll hielten sie sich an den Händen, als der Bärtige in der blauen Uniform von den Fortschritten von Holmes & Watson berichtete, die sich mühten, den Ripper von London endlich dingfest zu machen. Ein schrilles Trillerpfeifen ließ ihn wieder in der blauen Ferne verschwinden, als die Parkwächter zum Appell an den Veilchen zusammen gerufen wurden.
Margot wandte sich angstvoll an Auguste: „Geliebte Freundin, lasset uns schnell nach Hause eilen, es ist bald Zeit für den Tee, den Berta gewisslich schon für uns bereitet hat. Mir ist hier auch unheimlich zumute!“ Auguste nickte wortlos. Sie wandten sich von den so friedvoll wirkenden blutroten Rosen ab und strebten dem Tore zu. Nur noch wenige Schritte in dem dämmrigen Nachmittagslicht waren zu bewältigen, als aus der Hecke ein unrasierter Mann in einem verschmutzten Abendrock auf den Fußweg taumelte und auf die beiden Frauen zulief.
„Aaaargh,“ seine Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern. „Ladies!“
Auguste und Margot schriien angstvoll auf. Sollte dieses Monster der Ripper sein? Würde nun ihr letztes Stündlein geschlagen haben? Sie begannen auf das Parktor zuzulaufen, so schnell sie konnten, der Mann setzte ihnen mühelos nach. Nur noch wenige Schritte… dann waren sie gerettet oder er würde ihnen die zarten Hälse durchgeschnitten haben, wie Stubenküken auf ihrem letzten Wege.
Er war schneller! Er griff nach Augustes Schulter und hielt sie fest. Diese schrie um Hilfe, bevor ihr die Sinne schwanden und sie ohnmächtig zu Boden glitt. Margot hieb aus Leibeskräften mit dem Schirm auf den Fremden ein, bis der Schirm zerbarst und ihm der Hut vom Haupte glitt. „Euer Durchlaucht!“ Margot erstarrte. „Euer Durchlaucht, was tut ihr hier? Und wieso vergreift Ihr Euch an uns Unschuldigen?“ Auguste kam langsam zu sich und erkannte nun ebenfalls den Baron Bodo von Boddelschwingh in einem Aufzug, der weder der Tageszeit noch seinem Stande angemessen war. „Entschuldigt meinen Aufzug, die Damen und noch viel mehr, dass ich Euch so namenlosen Schreicken eingejagt habe. Ich wollte eigentlich nur nach der Uhrzeit fragen, weil die Uhr meines Vaters von einem englischen Strolch gestohlen worden ist.“ Beruhigt nickten die Damen.
Glücklicherweise hatte der englische Butler des Barons, Charles-Herbert, die Equipage samt Kutscher los geschickt hatte, seinen Herren zunächst in den Gassen von Soho zu suchen, dann in den feineren Gegenden der großen Stadt. Endlich war er auch am Hyde Park angelangt und wie durch einen Zufall hatte er auch direkt an dem Tor gehalten, durch welches Auguste und Margot um’s Haar entfleucht gewesen wären.
Nun hatte sich das Blatt gewendet. Auf’s beste gelaunt, konnten die drei Spaziergänger, die, jeder auf seine Weise, aus großer Gefahr entronnen waren, den Park verlassen. Der Baron wurde zu Bertas Teestunde geladen und Auguste träumte süße, nicht unschuldige Träume von Bodo, dem wackren Baron, der immer noch einen festen Platz in ihrem Herzen hatte.
Richensa
Der Frühling war selbst in London eingekehrt. Margot und Auguste hatten sich mit den neuen Stoffen aus Paris und Mailand eingedeckt und hatten mit ihren englischen Geschäftspartnern die neue Kollektion eifrig besprochen. Nun saßen sie in ihrem Salon und stickten die ersten schönen Schmetterlinge, Rosen, Tulpen, Nelken und Hundsveilchen auf Tücher, Schawls, Handschuhe und Strumpfbänder. Dieses waren die Muster, die dann die flinken Waisenkinder nach der Schule eifrig stichelten.
Die beiden Frauen waren nach und nach wohlhabend geworden und hatten sich ein Haus am Eaton Place gemietet, samt Butler, einer Kaltmamsell, einem Stubenhamster, einem Stubenmädchen und zweier Zofen, die ihnen morgens bei der Toilette und beim Anlegen der modischen Kleidung halfen.
Der Baron war inzwischen zu einem häufigen und gern gesehenen Gaste in dem eleganten Haus geworden, der nicht nur zum Tee und zum Dinner, sondern auch zu den Gebetsstunden kam, die sie für seine Seele veranstalteten.
Und seine Seele dürstete nach Vergebung für die Tage, die er in den dunklen Gassen von Soho verbracht hatte. Er hatte damals die Opiumhöhlen kennen gelernt, wo edle Gentlemen ihre Tage verbracht hatten, die der sonstigen fleischligen Freuden der Hauptstadt des britischen Empire überdrüssig geworden waren, die keine Lust mehr an frischem Fleisch von Hähnchen, Wachteln und Kapaunen hatten, die weder geraubte Jungfrauen noch Knaben anfassen wollten. Er dachte daran zurück, wie er Absinth mit Laudanum zu sich genommen hatte, fühlte es beinahe durch seine Adern fluten.
Ihm schauderte, als er daran dachte, dass er auch Mitglieder der königlichen Familie dort in den verruchten Etablissements getroffen. Einmal, als das Laudanum durch seine Blutbahnen spülte, war ihm gewesen, als hätte er gesehen, wie ein kräftiger Mann der jungen Rothaarigen, die mit ihren Lippen seine Männlichkeit nur kurz zuvor aufgerichtet hatte, die Kehle mit einem raschen Ruck seines Messers durchtrennt hatte. Wie im Fieberwahn hatte der Fremde gewirkt, als er von zwei Männern in schwarzem Anzügen schnell fortgeleitet worden war.
Auch an jenem Tag im Park, als er von den Hornissen angefallen worden war, meinte er den Korpulenten zwischen den Sträuchern gesehen zu haben.
Schnell bekreuzigte er sich und senkte das Haupt über das Gebetbuch, welches er von seinem Großvater geerbt hatte.
„Ave Maria… gratia plena..“ murmelte er.
Richensa
Auguste lächelte versonnen, als sie auf des Barons so demütig geneigtes Haupt blickte. „Ja,“ dachte sie so bei sich. „Er hat allem Üblen abgeschworen, selbst die Gedanken um die dahingeschiedene Baroness umwölken seine Gedanken nun nicht mehr so häufig.“ Und sie hob stumm das Antlitz, um in ein langes, stilles Dankgebet einzustimmen.
Nach dem leichten Mahle, welches sie zusammen mit Reverent O’Llmighty, einem Waliser Gelehrten eingenommen hatten, begaben sich Margot und der Geistliche, dessen schwarze Locken ihm elegant bis auf den dunklen Talar fielen, in das Nebenzimmer, um, wie sie sagten, noch ein wenig über die Dinge der Welt zu plaudern. O’Llmighty war allerdings nicht so vergeistigt, wie Auguste es anfangs angenommen hatte. Er hatte, wie viele seiner walisischen Familienmitglieder, gute Ideen für das Geschäft und für eine Spende an seine Kirche hatte er ihnen schon so manch’ guten Tipp gegeben. Margot und er unterhielten sich gerne sehr angeregt und wollten bei diesen Gesprächen auch nicht weiter gestört werden, wie der Reverend mit eindrucksvollem Bariton zu Gehör gebracht hatte.
Unterdessen waren der Baron und Auguste, begleitet von einem der ältlichen Fräuleins der englischen inneren Mission, zu einer Kutschfahrt durch den Regent’s Park aufgebrochen. Da Auguste sich immer noch im Stande der heiligen Unversehrtheit sah, und sie ihren guten Ruf nicht durch hinter dem Sonnenschirm aus weißem Batist auf sie zeigenden Finger gefährdet sehen wollte, hatte sie stets eine dieser in grauem Nadelfilz gewandeten, unverheirateten Jungfern in ihrer Begleitung. Diese hier, Fräulein Edna, war bedauerlicherweise von Kindheit an taub, aber diesen bedauerlichen Mangel machte sie durch ihr stets zur Schau getragenes Lächeln von einmaliger Einfalt wett. So konnten sich der Baron und Auguste ganz ungezwungen unterhalten, ohne dass ihre Gespräche belauscht wurden.
„Oh Herr Bodo,“ hub sie an, kaum, dass sie elegante Kalesche das Haus am Eaton Place hinter sich gelassen hatte. „Ihr seid so aufgeblüht, Ihr seht umso viel frischer aus, seitdem Ihr diese gefährlichen Ingredenzien nicht mehr zu Euch nehmt.“ „Ach Fräulein Auguste, Ihr vermögt kaum die Qualen zu ermessen, die es mich gekostet hat, diesen abzuschwören. Nur der Gedanke an Eure Unkeuschheit… ähm.. keusche Lebensart hat mir geholfen, diese düstren Tage und Nächte zu ertragen und natürlich die Aussicht, Euch wiedersehen zu können.“ Auguste errötete und senkte den Blick. Ob er es denn immer noch nicht bemerkt hatte, wie sehr sie Tag ein, Tag aus an ihn dachte. Sogar des nächtens schrak sie mitunter aus Träumen auf, die ihr in alle Winkel ihres Körpers heiß und süß gefahren waren, in einer Heftigkeit und Süße, die sie erschrecken ließ und doch gleichzeitig Hoffnung auf Erfüllung entfachte. Unterdessen hatte der Baron die linke, vom Handschuh befreite Hand auf ihr Knie gelegt, ganz sachte und warm, unter der Decke, die sie beiden gegen die Aprilkühle über die Beine gelegt hatten. Auguste drückte die Beine zusammen, zu sehr erinnerte sie die Berührung an ihre heißen Träume.
Fräulein Edna lächelte immer noch, als sie den Fächer mit hartem Schlag auf des Barons Hand unter der Decke niedersausen ließ. Der Baron zuckte zusammen, als er die Hand rasch wegzog. Stattdessen nahm seine behandschuhte Rechte die der erröteten Auguste. Sachte fuhr sein Daumen über die zierliche Hand in weiß gegerbtem Kitzleder. „Auguste, ich vermag ohne Eure Anwesenheit nicht mehr zu leben. Ihr habt mir bereits in so vielen schönen und auch schweren Stunden zur Seite gestanden. Wollen wir unseren Bund nicht in aller Stille durch Reverend O’Llmighty segnen lassen und uns vom ihm zu Mann und Frau erklären lassen?“
Auguste schwindelte vor Glück. „Oh Bodo,“ hauchte sie. „Das hatte ich niemals zu hoffen gewagt und mir doch immer aus tiefstem Herzen gewünscht, seit jenem Tag, als ich Euren stattlichen silbern gewandeten Rücken sah.“
Badbury
Die Hochzeit, ein Jahr später, fand eines schönen Maitages in der St. James Kirche in der Piccadillystraße statt. Mitglieder der Aristokratie und der Königin Familie waren geladen wie auch Delegationen der Waisenkinder. Alles erwartete leise tuschelnd und sehr freudvoll aufgeregt. Reverend Pennyfarthing in seiner Antichambre, nachdem er vom Verger angekleidet ward, ging noch eben die Prozedur der Trauung durch.
Draußen, die prächtig ausgeschmückte Holborn Landau Kutsche, in der Augusten in weißem Hochzeitsgewande aus Seide und Spitzen, wie es seit der Königin Vermählung nun Mode war, saß, glitt die Avenü herunter. Lord Fancywork geleitete sie an des Vaters statt am korrekt angewinkelten Arm aus der Kutsche in die kühl wallenden und ehrfurchtgebietenden Mauern des Gotteshauses, in das sich Auguste und ihr Baron einst bei einer Sonntagspromenade verliebten.
Kurz darauf fuhr des Gesponses eleganter Brougham vor. Bodo Baron von Boddelschwingh, in Begleitung Seiner Königlichen und mit ihm bereits von Kindesbein an befreundeten Hoheit Prince Albert als Trauzeuge, begibt sich fürbass und unter freudigem Applaus und Jubeln der Beistehenden ebenso in die kleine und doch so elegante und bezaubernde Kirche, wo ihn Reverend O’Llmighty väterlich lächelnd empfängt.
Währenddessen trifft der mittlerweile unter Wallburgens Obacht habilitierte Offlocksli mit seinen vierzig Sangesgesellen am Berkshire ein, die unter dem Namen Saxon Minstrels das Hochzeitsgelage in der Festival Hall des Hotels musikalisch begleiten werden und holt, als speziell angekündigte heimische Delikatesse, Gänsefleisch aus dem Kofferraum der Postkutsche…
buchstäblich
Wallburga selbst jedoch hatte bei der Verkostung des Gänsefleischs besonders wonnige Freuden! Saß ihr doch der 14. Earl of Gurney zur Rechten, den sie erst wenige Wochen zuvor wieder getroffen hatte, als er an der Speakers Corner im Hyde Park seine Erfahrungen mit den Psychiatern der Öffentlichkeit zum Besten gab, die ihn von der Illusion befreit hatten, er sei der als Jesus Christus wiedergeborene Heiland.
Er trug das Blondhaar schon lang nicht mehr schulterlang und die Vorstellung, er sei seinerzeit mit einer Kutte bekleidet auf einem Kreuz an der Wand gestanden bei seinem Mittagsschläfchen, ließ Wallburga noch immer grinsen.
Denn sie sah etwas anderes in ihm. Tief im Grunde seiner Augen erspähte sie eine ganz andere Seite des Jack Gurney. Und dieser Faszination, die sie wohlig schaudern ließ, folgend, hatte sie ihn zu ihrem Tischherrn für Augustens großen Ehrentag erkoren.
Gerade jetzt wurde das Dessert aufgetragen:
Fondant in der Form von Davoser Almenheu, dekoriert mit filigranen Spitzentaschentüchlein aus Marzipan mit Rosenmustern aus feinstem Zuckerguß in augustenwangenrosé – diesen einzigartigen Farbton und seinen Namen hatte Auguste sich zwischenzeitlich patentieren lassen, und wegen der mannigfaltigen Bestellungen ihrer Handarbeiten war es ihr Schaden nicht gewesen.
Die Gästeschar juchzte begeistert nach dem Kosten der Spezerei, die mit einem hervorragenden Veilchenlikör in kostbar geschliffenen, hochstieligen Gläsern aus Murano serviert wurde. Sie hatten den Weg über die Alpen vor rund hundert Jahren genommen, eingebettet in feinstes Butterschmalz, damit sie unterwegs keinen Schaden nehmen konnten.
Wallburga jedoch verlor sich fast im Gespräch mit mit dem Earl. Der hochgewachsene Hagere mit den unglaublich blauen Augen, in deren Tiefen das Geheimnis schlummerte, nahm mit einer eleganten, doch schicklichen Bewegung einen Fussel von Wallburgens behandschuhter Rechter, der beim Auftragen durch den Kellner bei ihr, der sonst Makellosen gelandet sein musste, und ein wohliger schauder durchfuhr sie. Zu was diese Hände wohl sonst noch taugen mochten, fragte sie sich insgeheim, als die Musik zum Hochzeitswalzer anhob.
Richensa
“Liebste Margot,” hauchte Auguste ihrer Freundin ins Ohr, “sag an, was hätte ich nur gemacht, wenn ich Dich nicht kennen gelernt hätte? Wie viele stürmische Klippen des Lebens haben wir schon umschifft, seitdem sich unsere Wege gekreuzt haben.” Die Braut in ihrem prächtigen Gewande, welches mit ihren feinen Stickereien, die von den geschickten Fingern der Waisenkinder gewirkt worden waren, an die zierlichen Spinnweben, die an frühen Herbstmorgen von der Nebelfeuchte kleinste Perlchen aus kristallenem Wasser als schönsten Schmuck trugen, gemahnten, tupfte sich gerührt mit einem feinen Batisttüchlein die kleine Träne aus ihren großen, weitaufgerissenen Augen. Die Freundin nickte stumm und dachte beim Anblick des weißen Stoffes kurz an die kesse Baronesse, die ihre roten Blutstropfen in ähnliche Tüchlein gehustet hatte und freundlicherweise durch ihren frühen Tod Augustens Glück den Weg geebnet hatte. Die Busenfreundinnen fassten sich an den Händen, schwiegen gar stille und schauten zu Bodo, dem prächtigen Bräutigam, der sich im Kreise seiner Freunde in prächtigem Tuche angetan, sich wohlgefällig wie ein Gockel im Hühnerhof in die Brust warf. Auguste lächelte, eine leichte Röte stieg ihr über den hochgeschnürten Busen, über den Hals bis hin in die Porzellanteint ihrer Wangen. Sie dachte an den ersten Augenblick zurück, als sie ihn damals von hinten gesehen hatte, damals im Pensionat in den stillen Wäldern.
Sie hatte ihn vom ersten Moment an für den Mann ihrer Träume gehalten. Allein ihre scheinbar zweifelhafte Herkunft als Tochter eines Bischofs hatte sie nie daran zweifeln lassen, dass er dieses stets bleiben würde: der Mann ihrer heißen Jungmädchenträume. Und nun war sie hier, seine Frau! Sie, die sie ihm kaum hörbar gehaucht das Ja-Wort gegeben hatte und nun für immer mit ihm im stillen Glücke ihrer Tage vereint sein würden.
Heute abend, schon in wenigen Stunden, würde nicht nur ihr Herz, sondern auch ihr Körper endlich mit ihm vereint werden. Sie würde sich ihm hingeben, ihm ihre ganze Wonne schenken, ihre Jungfräulichkeit! Sie schauderte ein wenig ängstlich, denn so richtig wusste sie nicht, was passieren würde, bislang hatten ihre tastenden Finger stets inne gehalten, wenn diese sich den Weg unter das reich bestickte Nachthemd der jungen Frau gesucht hatten und sich Wonnen ankündigten, von denen ihr bislang niemand auch nur ein paar schnell gewisperte Worte erzählt hatte.
Ob Bodo ihr diese auch verschaffen könnte? Sie würde die Augen schließen und…
“Auguste, Kind, was ist dir? Du bist ja ganz blass!” Die Braut seufzte bei den Worten der Großtante Hermentrudis, die als einzige Cousine dritten Grades ihrer Mutter angemessen mit einem französischen Duc de Montparnasse verheiratet war. “Oh nein, geliebte Tante, es ist nichts, ich bin wohl nur etwas eng geschnürt, der Cul de Paris hängt recht schwer.” Sie wedelte mit ihrem Fächer erregt vor dem Gesicht der jungen Braut hin und her. “Kind, wir rufen besser einmal Deinen Gatten, ihr solltet euch nun zurück ziehen, ihr braucht nun viel Zeit miteinander.” “Gewiss doch, ihr habt Recht, liebe Tante.”
Sie warf einen etwas bedauernden Blick auf ihre Hochzeitsgesellschaft. Plötzlich hob die Musik wieder an, ein Walzer!
Bodo drehte sich zu ihr um und eilte auf sie zu. Er forderte sie zum Tanze auf, zu ihrem Hochzeitswalzer. Bevor die Tante weitere Einwände erheben konnte, schwebten Auguste und Bodo über das Parkett. Kaum hatten sie dreimal den Saal umrundet, reihten sich auch die anderen Paare ein: Walburga hatte mit einem schnellen Handgriff den Earl zum Tanzpartner erkoren, einen Griff in Regionen, die keine Frau sich sonst getraute, in der Öffentlichkeit zu berühren. Nur das Tischtuch hatte diese geschwinde Handbewegung vor den Gästen verborgen, den Earl aber in eine erregte Spannung versetzt.
Nur Robert Ofloksli und der Reverent O’Llmighty hatten nichts von dem Treiben bemerkt, waren sie doch selber in angeregtes Plaudern verstrickt.
Der Tanzboden drehte sich immer schneller unter Augustes schlanken Füßen, das Herz drohte ihr vor lauter Glück und Freude zu zerspringen. “Bodo, ach Bodo, welch wunderbarer Tag!” “Auguste, mein Herzblatt, lass’ uns nach diesem letzten Tanz für diesen Abend endlich unser Brautgemach aufsuchen, ich möchte deine Locken lösen, dein Schnürleibchen….” Augustes Wangen erglühten genau in der Farbe, die sie sich hatte patentieren lassen.
Kommentare