Seit einiger Zeit habe ich einen Mitarbeiter aus Lehde, also mitten aus dem klassischen Spreewald. Vor einigen Jahren war ich schon einmal mit meinen Tanten durch den Spreewald gegondelt, wobei wir nachmittags durch die Kanäle gestakt wurden und an jedem Gurkenverkaufsstand zur Verkostung anhielten. Mein Kollege hat als Eingeborener vor einiger Zeit eine Lizenz zum Fahren eines Spreewaldkahns mit dem typischen Staken erworben, so wie sie sein Vater auch.
Nach Feierabend hatten wir uns also bei ihm in Lehde verabredet, um mit ihm eine Tour durch die Kanäle zu machen. Mit einem kleineren Kahn mit 10 Sitzplätzen ging es los, als besondere Freude waren seine Frau und seine zauberhafte kleine Tochter Lotte dabei.
Es war schon nach 18 Uhr, als wir losfuhren, leise schaukelnd, nur vom Staken fast lautlos bewegt. Die Kähne werden heute eigentlich nur noch für die Touristen benutzt, bis auf die Post in Lehde und die Müllabfuhr, aber die haben auch schon keine Holzkähne mehr. Da der Spreewald und seine Fließe Biosphärenreservat sind, gelten strenge Regeln für das Befahren der Kanäle. So dürfen an sich keine maschinenbetriebenen Kähne fahren, lediglich mit Genehmigung z.B. die Müllabfuhr. Nachts darf ebenfalls nicht gefahren werden, es sei denn, man ist Anwohner.
Alles wirkt sehr idyllisch, aber man darf nicht vergessen, dass der Spreewald eine menschengemachte Landschaft. Die Fließe sind holzgefasst, die Pfähle und Spunde müssen regelmäßig nach dem Winter repariert und unterhalten werden. Viel Arbeit, die offensichtlich immer seltener gemacht wird: sobald man sich von den Hauptfließen entfernt, sieht man, wie sich die Wildnis die einstigen Wiesen und Ackerflächen zurückholt.
Die Regeln des Natur- und Denkmalschutz scheinen sehr streng, wie mir auch unser native guide bestätigte: beim Erwerb eines Grundstückes darf nur der Baubestand renoviert werden, abgerissen und neu gebaut darf an sich nicht. So kommt es, dass einige Grundstücke mit ruinösem Bestand natürlich auch keinen neuen Eigentümer finden und alles vor sich hinrottet. Und so kümmert sich dann auch keiner um diese Abschnitte und alles verfällt weiter, ein Teufelskreis.
An den Hauptfließen und in manchen Vorgärten stehen die typischen Heubergen wohl auch eher als Zier, denn dass das Heu wirklich an das Vieh verfüttert wird.
Es wurde immer stiller, je weiter der Abend fortschritt, einzig die Mücken wetzten die Messer. Diese waren aber auch die Einzigen, die um die Uhrzeit „essen gehen/fliegen“ konnten, denn die Lokale entlang der Fließe schließen, sobald die Touristen den Kähnen entsteigen. Und das passiert spätestens gegen halb sechs. Dann wird es still, die Fließanrainer sind dann wieder unter sich, sitzen an den Knälen und angeln, grillen und trinken ihr eigenes Feierabendbier.
Etwas abseits von Lehde haben wir sogar einen Eisvogel aufgescheucht, ein Reiher flog und ein paar Eichehäher keckerten empört, dass wir noch fast zwei Stunden nach offiziellem „Dienstschluss“ unterwegs waren.
Sorbisch spricht übrigens kaum noch jemand, auch wenn der Spreewaldkrimi des ZDF es etwas anderes zeigt und die Tracht wird auch eher für die Touristen aus dem Schrank geholt, soweit unser stakender Kollege. Schade eigentlich…
Die Zeit ist auch im Spreewald nicht stehen geblieben. Tourismus boomt eben. Erst kommt das Fressen und dann die Moral. Dieser Satz wird glaube ich Brecht zugeschrieben.
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Wunderbare Fotos der Atmosphäre sind Dir gelungen, Danke fürs mitnehmen.
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Ich danke auch.
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