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Mein Hausberg

Nur wenige Minuten von meinem neuen Zuhause entfernt erhebt sich ein Berg, zumindest, wenn man seine Höhe nach Berliner Maßstäben bestimmt. In etwas weniger flachen Regionen wie der Uckermark wäre er ein Hügel und in hügligeren bis bergigen Umgebungen wie dem Voralpengebiet oder Schottland würde man die Erhebung nicht einmal wahrnehmen. Aber wir sind ja hier in Berlin südlich der Spree, wenn auch nur knapp südlich. Der Hausberg, der den netten Namen Rodelberg trägt, war endlich einmal das Ziel eines kleinen Spazierganges zur sonnigen Mittagszeit, denn ich wollte seiner Genese etwas auf die Spur kommen. Der Blick auf die geologische Karte ließ im ehemaligen Urstromtal keine überraschenden Erhebungen vermuten, was also hatte dem Rodelberg zu seiner Existenz verholfen? Die angrenzende kleine Straße mit einer Bebauung aus der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg im südlichen Bereich und genossenschaftlich wirkenden Häusern aus den 1920ern heißt sogar „Rodelbergweg“, ob dieser Straßenname wirklich so alt wie die Bebauung ist, ist fraglich. Zunächst stand also eine Geländebegehung auf dem Plan! Flugs waren die Schuhe geschnürt, der Fotoapparat geschultert, der Rucksack mit Steigeisen gepackt und die Sonnenbrille ergriffen. Die Steigung war gerade noch zu bewältigen, aber noch nicht ganz auf dem Gipfel erspähte ich den ersten Hinweis: ein Bodenaufschluss, sicher nicht vom Grünflächenamt ergraben! Kräftig braune krümeliges Substrat, definitiv Braunkohlasche, Porzellan-, Glas- und Steinzeugscherben aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Nun war der Fall schon gelöst, fast war ich ein wenig enttäuscht: der Rodelberg ist eine künstliche Aufschüttung aus klassischem Mülldeponiematerial des frühen 20. Jahrhunderts. Und auf der nördlichen Seite wurde wirklich eine Rodelbahn angelegt, wie der Baumbewuchs zeigt, der eine breite Schneise freilässt. Wenn man mit offenen Augen dort umherwandert, sieht man überall Scherben zwischen dem noch kargen Bewuchs.

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Später habe ich noch etwas gesucht, ob sich nicht doch noch genauere Angaben zur Aufschüttung finden lassen und da wurde ich nicht enttäuscht: Und um diese Frage zu klären, befragte ich zunächst die von der Zentral- und Landesbibliothek Berlin bereitgestellten Adressbücher zwischen 1799 und 1943 und darüber das Straßennamenlexikon für Berlin. Dieses wusste mir zum Straßennamen zu berichten, dass der Rodelbergweg zwischen 1905 und 1931 Cecilenstraße hieß (nach Cecilie Auguste Marie, bis 1919 deutsche Kronprinzessin), zwischen 1931 und 1934 Braunweg (nach Lily Braun, der deutschen Frauenrechtlerin).

Bevor aus der Cecilenstraße aber der Braunweg wurde, entstand mein Hausberg! Die Bezirksverwaltung beschloss, hier, wo der Britzer Verbindungskanal in die Spree mündet und es bis zum Plänterwald auch nur ein paar Schritte sind, einen kleinen Park anzulegen. Und wenn man keinen 12 m hohen Berg hat, dann baut man sich eben einen, für den man nur ca. 60 000 Fuhren Schutt und Müll benötigt. Spree und Kanal waren für die Anlieferung perfekt, die Müllschiffe konnten gleich anlegen. Neben dem Müll aus der Hauptstadt fiel bei der Bautätigkeit in Berlin auch genügend Oberbodenmaterial an, dass der Berg auch hübsch abgedeckt und bepflanzt werden konnte.  Und eine Rodelbahn wurde auch angelegt. Dass Lily Braun als sozialdemokratische Frauenrechtlerin nach 1933 nicht mehr als Namenspatin für eine Straße dienen durfte, ist auch nicht ganz überraschend!

Fall gelöst! Is‘ alles Müll, mein Hausberg!


6 Antworten to “Mein Hausberg”


  1. 1 kormoranflug
    4. April 2012 um 18:43

    Wunderschöner Müllwanderweg, für Dich wahrscheinlich eine Offenbarung. Wer hat die Grabungsstelle errichtet?

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  2. 4. April 2012 um 23:25

    Klasse — Anschauungsunterricht in sachen Archäologie! (Mit heutigem Müll würde man das nicht mehr so machen können.)

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    • 3 richensa
      5. April 2012 um 09:03

      Zum Glück nicht!
      Damals wurde immerhin besser getrennt und es gab natürlich nicht so viel fies giftiges und im Boden nicht vergängliches Material….
      Der Müll wurde sehr lange auf Schiffen aus Berlin transportiert, teilweise mit Wasser vermischt und auf die Felder im Barnim und auch im Havelland geschleudert, daher kommt wohl der Begriff „Dreckschleuder“… Literaturhinweise folgen ;-)

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  3. 5. April 2012 um 13:12

    Einer von diesen „Mont Klamott(es)“ – interessant beschrieben und ins Bild gesetzt … ;)

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