Archiv für 20. Dezember 2011

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Cesaria Evora

Bei all‘ den Diktatoren und Präsidenten, die in den letzten Tagen gestorben sind, ist eine ganz still, sozusagen barfuß gegangen. Aber der Reihe nach: vor vielen Jahren saß ich abends, ich glaube sogar, dass es noch in Göttingen war, vor dem Fernseher und schaute eher lustlos das „heute journal“. Manchmal lohnte es sich aber, denn zum Schluss gab es so etwas wie ein „off-topic“, einen Bericht, der sich mit Dingen außerhalb des Tagesgeschehens beschäftigte. An jenem Abend stellte das ZDF in einem Beitrag eine nicht mehr ganz so junge Dame vor, die mit wunderbar weicher Stimme ein melancholisches Lied anhob zu singen. Sie kam von den Kapverdischen Inseln, dieser kleinen afrikanischen Inselrepublik mitten im Atlantik, etwa 450 km vor der Westküste Afrikas. Auch in ihrer Familie gab es seit Generationen viele Musiker, sie selber wurde von einem kapverdischen Musiker, der inzwischen in Frankreich lebte, zufällig in Lissabon entdeckt und dann über eine französische Plattenfirma plötzlich zum Geheimtip in Europa. Auch als sie schon bekannt war und über ihre Platten jede Menge Schuhe kaufen konnte, trat stets barfuß auf, was bei den in unseren Breitengraden vorherrschenden Temperaturen bestimmt nicht immer angenehm war. Immerhin hatte mich dieser kurze Filmbeitrag mit ihrer Musik so begeistert, dass ich mir in kurzer Zeit drei ihrer CDs besorgte: Cesária (1995),Cabo Verde (1997) und São Vicente di Longe (2001), die ich alle, stimmungsabhängig immer noch sehr gerne höre. Ihre Musik ist eine Mischung aus portugisisch-brasilianischer Musik mit kubanischen und afrikanischen Elementen, Zeuge der vielhundertjährigen Tradition der kargen Inseln als Haltepunkt der Schiffe, die den Atlantik überquerten und auf den Kapverden noch einmal frisches Wasser und Proviant bunkerten.

Etwa 2004 oder 2005 später sah ich eine Konzertankündigung mit ihr hier in Berlin und setzte Himmel und Hölle in Bewegung, um ihren Auftritt im Tempodrom zu sehen. Das Konzertpublikum war, mehr noch als ich, das „kulturbeflissene“ Lehrerkreuzberg, welches sich versammelt hatte und artig auf Stühlen der Dinge harrte, die da kommen sollten. Vorgruppe war eine ebenfalls von den Kapverden stammende Künstlerin, Lura, die wunderbar quecksilbrig über die Bühne tobte. Ich war begeistert, der Rest der Anwesenden eher verhalten, weil man ja auf die „Diva aux pieds nus“ wartete.

Sie ließ uns erstmal warten, rauschte dann auf die Bühne und begann. Komischerweise dauerte es eine ganze Weile, bis das Gefühl der Lustlosigkeit, welches ich bei ihr zu verspüren vermeinte, zurück trat und sich allmählich die Freude an ihrer Musik auch bei mir einstellte. Melancholische Herz-Schmerz-Lieder, wahrscheinlich doch zu oft vor gleichartigem Publikum vorgetragten, vielleicht hätte ich auch keine Lust mehr gehabt, zumindest kalte Füße im eisigen Berlin. Madame rauchte in den Pausen, wenn ihre Musiker sich bemühten, die Stimmung aufrecht zu erhalten. Und die waren wirklich gut, was auch das Publikum nach und nach honorierte. Plötzlich stand sie auf, meckerte ihre Musiker an und verschwand von der Bühne. Wir waren alle überrascht, ihre Combo professionell genug, um sich nichts anmerken zu lassen. Nach etwa 10 Minuten kam sie wieder und sang weiter, als sei sie nie weg gewesen. Die Stimmung war aber, zumindest bei mir, vollständig dahin. Fast wäre ich aufgestanden und gegangen. Ich blieb aber und wünschte mir Lura zurück auf die Bühne. Zugabe gab es keine, soweit ich mich erinnere. Immerhin: von Lura habe ich dort die CD Di korpu ku alma erstanden!

Cesaria Evora bekam jede Mange Preise für ihre Musik, war sechsmal für den Grammy nominiert und gewann ihn schließlich 2004 auch in der Kategorie „Weltmusik“. 2009 wurde sie, sagt wikipedia, sogar „Ritter der Ehrenlegion“. Dennoch waren ihre letzten Jahre nicht einfach: zunächst erlitt sie 2008 einen Schlaganfall, arbeitete trotzdem weiter am nächsten und letzten Album Nha Sentimento (2009). Dennoch tourte sie weiter mit ihren Liedern, eines der jüngsten youtube-Videos, das ich fand ist von einem Konzert in Athen im Juni 2011. Ihre letzten Monate verbrachte sie zuhause, auf den Kapverden in ihre Heimatstadt Mindelo, wo sie dann letzte Woche am 17. Dezember, siebzigjährig starb.

Nur auf ihren Platten wird sie ihre Mornas weiter singen, von Sehnsucht, nicht erfüllten Hoffnungen, Armut, aber auch von Liebe und den schönen Seiten des Lebens. Hachja, ihren schlechten Tag damals in Berlin habe ich ihr lange verziehen….

… wohl aufgenommen, kurz nachdem sie entdeckt worden war…

So ähnlich sah das Bühnenbild bei „meinem“ Konzert auch aus:




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