Heute morgen beim Tanken, da war es wieder. Als ich zum Bezahlen anhob, wurde ich wieder mit dem Wortfetzen aus der morgendlichen Lethargie gerissen. Der Anfang Zwanzigjährige an der Kasse warf mit dem mir inzwischen so verhassten: „Alles?“ um sich. In Zeiten der Finanz- oder Bankenkrise zu sparen, finde ich ja an sich löblich, aber mit diesem „Alles?“ muss es doch nicht beginnen.
Wieso werde ich nicht gefragt: „Darf es noch etwas sein, vielleicht ein Schlückchen Öl oder noch ein schlabbriges Croissant, eine Computerzeitschrift, Ravioli in der Dose oder Gummibärchen?“ Warum verwendet das Thekenpersonal keine vollständigen Fragesätze mehr? „Wäre das dann alles?“ „War das alles?“ (was bei den Benzinpreisen zu der Antwort: „Ich finde, dass 60 Euro im Tank schon ordentlich viel Geld sind..“ verleiten sollte) „Ist das alles?“ Die beiden letzten Varianten können, je nach Tonlage auch schon unverschämt wirken, wenn man wirklich nur ein Tröpfchen Benzin zugefüllt hat.
Aber dieses „Alles?“ habe ich das erste Mal vor etwa anderthalb Jahren bei türkischen Bäcker meines Vertrauens wahrgenommen, als die Backwarenverkäuferin mich damit ansprach. Ich hielt das für etwas schlecht erlerntes Deutsch und verneinte ausführlich: „Nein, danke, das wäre dann alles..“ Nach einer Weile habe ich resigniert aufgegeben und nur kurz genickt, während ich in meinem Portemonnaie kramte.
Inzwischen hat sich das „Alles?“-Virus mit wahnwitziger Geschwindigkeit ausgebreitet, wenn ich doch nur wüsste, wo das Epizentrum liegt, wer sozusagen Patient Null ist! Im Supermarkt, selbst in der feinen Galeria vom Kaufhof habe ich es schon gehört. Als aber letztens die propere Azubiene meines Fleischers jenseits der Modersohnbrücke auch das „Alles?“ hervorstieß, habe ich mir das Herz einer in diesen Dingen sehr altmodischen Kundin gefasst. Ich muss kurz ausholen: Dieser Fleischerladen ist noch ordentlich mit weißen Fliesen ausgelegt, die Messer werden vor den Augen der Kunden geschärft, man wird freundlich begrüßt, auch wenn man als Gelegenheitsfleischesser nur selten hereinschaut und man bekommt eine gute Beratung, wenn man sich ob der Auswahl von größeren Fleischstücken unsicher ist.
Kurz und gut, als ich hier mit dem „Alles?“-Fetzen befragt wurde, habe ich für mich die verbale Notbremse gezogen und, bevor ich „Ja“ oder „Nein“ antwortete, gemeint, dass ich nicht wisse, was sie meine. Sie ist knallrot geworden, ich habe mich auch ein klein bisschen gemein gefühlt dabei, aber sie fragte dann, wie es sich gehört: „Darf es noch ein bisschen mehr sein?“ Ich strahlte sie und meinte: „Nein danke, aber nett, dass Sie gefragt haben.“
So, das musste mal gesagt geschrieben werden!
Ja, finde ich auch. Danke für die Deutlichkeit, der ich mich gerne anschließe. Dieses „alles?“ ist der Gipfel der Schludrigkeit. Dagegen ist „für zum hier?“ als Ersatz für „möchten Sie das im Lokal zu sich nehmen?“ schon fast ein ganzer Frage-Satz.
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„Für zum hier?“ bekommst du noch zu hören? Bei uns im Städtchen heisst es meistens: „To stay or to go?“ Ehrlich gesagt habe ich das anfangs gar nicht begriffen, was man denn von mir will. Zwar gefällt mir inzwischen die Idee, dass offensichtlich alles aus „Togo“ stammt, und so summe ich dann die Melodie von The Clash „Should I stay or should I go“….
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Mir geht es , so wie Dir, auch ziemlich auf den Geist. Leider ist das sprachliche Unvermögen ziemlich verbreitet.
Ich versuche mit einem fragenden „Bitte ?“ mein Gegenüber zu einem wenigstens kurzen Satz zu animieren. Manchmal klappt es sogar.
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Noch schlimmer finde ich die Litanei der abgefragten Karten haben Sie eine: Kundenkarte, Pay-back-Karte, ADAC-Karte, Karte-Karte???? Nein, möchten Sie eine Kundenkarte abschliessen? Nein?
Danke für das Gespräch.
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Du hast „Sammeln Sie Herzen“ vergessen :-)
Als ich einmal „ja, aber nur Gebrochene“ geantwortet habe, war die Kassendame jedoch etwas verstört…
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*lach* Ahh… Kaiser’s!
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Volltreffer !
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Alles? Das hat mich noch niemand gefragt. Vielleicht lebe ich hinter dem Mond?
Spontan hätte ich sicher »Alles was??« nachgefragt.
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Warte nur ein Weilchen, dann kommt das „Alles“ auch zu dir. Ich hoffe natürlich auf eine Schilderung des ersten „Alles“-Sündenfalls in deinem Blog!
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Sehr schön! – Hat jemand noch eine Empfehlung, wie man es vermeiden kann, als ersichtlich älterer Herr von blutjungen Fleischereifachverkäuferinauszubildenden mit „Und, der junge Mann, was darf es sein?“ angesprochen zu werden?
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Nein, kraska, leider nicht. Blöderweise gibt es im Deutschen keine nicht vollkommen aldmodisch klingende Anrede, wenn der Name des Anzuredenden unbekannt ist. „Mein Herr, meine Dame“ sagen wahrscheinlich nur ältere Oberkellner in edlen Restaurants? Andernorts wird ja „Monsieur?“ oder „Madame?“ als ganz normale Anrede benutzt…
Hmm…
Aber sag mal, bist du im Herzen nicht doch noch so jung, dass die Fleischereifachverkäuferin dennoch Recht hat, dich als „jungen Mann“ zu betiteln?
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Vielleicht hilft es, wenn man dann die Antwort (bitte vorher aktuellen Jugendslang recherchieren) mit »Ey Alde« beginnt?
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“ Ach so, bin ich noch nicht dran“?
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Nicht soo schlecht, lieber Otto, aber für besagte Fleischereifachmädels evtl. doch eine Spur ZU ironisch um zwei Ecken gedacht! Ich fürchte, die Antwort hieße: „Doch, doch, junger Mann, Sie sind jetzt!“ Und dann…: „Alles?“
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