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Zeitzonen

In Zeiten, in denen die Zeit von Kirchturmuhren zerteilt wurde und die Eisenbahn noch nicht ein börsenorientiertes Unternehmen war, sondern mit dekorativen Rauchwölkchen und schrillem Pfeifen als das schnellsten Beförderungsmittel galt, wurde diesselbe, nämlich die Zeit zum Problem.
Die Eisenbahn war schneller als die Zeit, so schien es, denn die überregionalen Fahrpläne konnten sich nicht mehr danach richten, wann wo die Sonne im Zenit stand und es dort somit „High Noon“ war. Fleißige Rechenschieberkünstler mussten ordentlich rechnen, damit Passagiere, Bahnhofsvorsteher und Lokomotivführer zusammenfanden. Mein Ur-Großvater war auch einer von ihnen, ein Lokführer. Er war sein Leben lang sehr stolz darauf, sein wichtigstes Utensil war eine wunderbare silberne Taschenuhr mit einer großen Lokomotive auf dem Uhrdeckel, die er, wie mein Vater erzählte, auch im Ruhestand jeden Tag bei sich trug und sorgfältigst pflegte. Leider habe ich meinen Uropa nie kennengelernt, auf den Fotos war er eine imposante Erscheinung (auch wenn er auf dem Bild von 1955 der Kleinere ist, die Uhrkette ist aber deutlich zu sehen).urgroßeltern 1955

Zurück zu den Zeitzonen: die Bahngesellschaften waren federführend bei der Einführung von einheitlichen und übergreifenden Zeitzonen, denn sobald sich mehrere große Bahnlinien kreuzten, konnte es ein wahres Durcheinander zwischen Ortszeiten, Bahnzeiten und Hauptstadtzeiten geben.
Ein wunderbares Beispiel für die kleinen Zeitzonen habe ich vor ein paar Jahren bei Lauenförde an der Weser gefunden. Als der Zug langsam zum Stehen kam, hielt mein Waggon genau vor dem Bahnhofsgebäude.Ortszeit
Ortszeit_


10 Antworten to “Zeitzonen”


  1. 1 6kraska6
    23. Mai 2009 um 09:21

    Seehr schöne Geschichte! – Aber sag mal, ist das Foto bearbeitet? Deine Großeltern sehen aus, als würden sie schweben! Spooky, aber es steht ihnen gut!
    Grüße aus Duisburg (grundsätzlich 10 Min. hinter JEDER Zeit…)

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  2. 2 richensa
    23. Mai 2009 um 11:14

    Meine Ur-Großeltern schweben, wenn überhaupt vor guter Laune, denn das Bild wurde zu ihrer „Goldenen Hochzeit“ aufgenommen. Auch auf dem Original, welches vor mir liegt, schweben sie.
    Ich werde in alle Ewigkeiten bedauern, keinen von beiden mehr kennen gelernt zu haben, sie müssen wunderbare Menschen gewesen sein.
    Meine Ur-Oma hat übrigens auch die „wohlschmeckende Stunde“ erfunden, aber das ist eine andere Geschichte, eine für oberhalb der Kommentarspalte ;-))

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  3. 3 kormoranflug
    23. Mai 2009 um 15:35

    Die Berliner Zeit, die Münchner Zeit eigentlich war das ja vollkommen richtig, sobald die Sonne den höchsten Punkt erreicht ist es 12.00 Uhr.
    Die Eisenbahn wurde nur schneller als die Sonne. In SiFi-Geschichten gibt es ja noch wandernde Städte genau immer im Zeitplan mit der Sonne.
    Die Schrift am Bahnhofsgebäude finde ich etwas einfach aufgemalt für so eine wichtige Angabe. Schöne Geschichte!

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  4. 24. Mai 2009 um 21:23

    Großartiges Paar…
    Und wer darf die LokomotivführeruhrnebstKette heute sein Eigen nennen ? Ist doch hoffentlich noch in Familienbesitz…

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  5. 5 joulupukki
    25. Mai 2009 um 22:29

    Lustig, dass Deine Urgroßeltern schweben war auch mein erster Gedanke, als ich das Bild gesehen habe. Mein zweiter Gedanke: Wie bei Raumschiff Enterprise kurz nach dem „Beam me up, Scotty“, was auch gut zur Farbtönung des Bildes passen würde. Raumschiff Enterprise war (zumindest in meiner Erinnerung) doch auch in so seltsame Sepiatöne getaucht, nicht?

    Wollte man nicht im Zuge des Eisenbahn-Fahrplanproblems nicht sogar eine eigene Zeitrechnung einführen?
    Jedenfalls eine schöne Lektüre, in der die ersten Eisenbahnen in Deutschland auch nicht zu kurz kommen, ist der Ullstein Roman Stan Nadolnys. Der junge Ullstein war von dem Dampfross zwar fasziniert, aber trotzdem überzeugt, dass es keine Zukunft haben kann. Schon allein wegen des eklatanten Nachteils, dass man dem Lokführer ja nicht mal schnell zurufen könne stehenzubleiben so wie dem Vater am Kutschbock, wenn man am Wegrand eines dieser faszinierenden Kleinode wie einen bemerkenswerten Stein oder ein kleines Tier entdeckte.
    Das Argument hat mich sogar nachträglich noch überzeugt! ^^

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  6. 6 kormoranflug
    26. Mai 2009 um 16:36

    Das ist keine Uhr mit Lokomotive sondern eine Zeitmaschine. Kein Wunder, die beiden schweben gerade ein….

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  7. 7 richensa
    28. Mai 2009 um 09:26

    Joulou, danke sehr für den Lesetip!
    Dass die Eisenbahn den Nachteil hat, nicht mal „eben schnell“ anhalten zu können, weil man gerne genau diese Aussicht genießen möchte, habe ich auch schon öfters festgestellt.
    Bevor man in Lauenförde mit jenem netten „Zeitzeichen“ ankommt, fährt die Bahn nach der Tour durch den Solling durch einen Tunnel und erreicht, wenn sie wieder an’s Licht kommt, das Wesertal. Und das ist immer der Punkt, wo ich dann mal eben anhalten möchte und diesen Moment genießen, wenn man auf meinen Heimatfluss das erste Mal auf der Fahrt schauen kann.

    Auf meinen Streifzügen durch die Lande ich ja immer mal was frisches zum Abendlesen… Aber dazu schreibe ich mal einen eigenen Beitrag ;-))

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  8. 8 richensa
    28. Mai 2009 um 09:27

    Lieber schwarzer Vogel,

    man hat mich immer erzählt, dass diese beiden, mein Urgroßvater und seine Frau etwas ganz besonderes gewesen sind. Du hast den Beweis gefunden! Danke, danke, danke!!

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  9. 2. Juni 2009 um 12:11

    Ich dachte auch als erstes ans Beamen (was Deinem Urgroßvater vielleicht mißfallen hätte, so als Lokführer). Was für ein schönes Bild, und ein prächtiges Paar!

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  10. 10 SoedraFinnoe
    8. Juni 2009 um 20:12

    Ich glaube, so eine Uhr wie du sie beschrieben hast, habe ich irgendwo liegen. Muss ich mal nachschauen.
    Du hast deine Ur-Großeltern nicht gekannt und ich noch nicht einmal meine Großeltern. Der Krieg hat die Familien auseinander gerissen und es war damals nicht einfach sich zu sehen. Es fehlte einfach das Geld. Sie sind verstorben, als ich noch ein Pimpf war ohne großen realen Konntakt und einen Opa von mir kannte ich gar nicht. Er ist 1956 in Alexandria (Ägypten) verstorben, in dem Jahr als ich geboren wurde.

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