Immer, wenn ich länger im Ostwestfälischen weile, ist mir klar, dass ich für dieses aufregende Abenteuer genügend Proviant benötigte.
Und wo kriegt man den am preisgünstigsten oder anders gefragt: welches ist der erste Supermarkt, den man am Wegesrand antrifft, wenn man das Ortsschild „Höxter“ passiert hat? Ja, der Feinkosthändler mit den vier Buchstaben. Nicht Mama, nicht Omma, nein, der Aldi – Markt.
Bereits auf dem Parkplatz des Marktes beschleicht mich das vertraute „Und–täglich–grüßt–das Murmeltier“ – Gefühl: Man sieht sofort und ohne Vorwarnung diejenigen, die schon immer in Höxter gewohnt haben. Man hat zwar die Namen vergessen, weil man sie eigentlich auch gar nicht persönlich kannte, sondern nur Sonntags aus der Kirche oder vom Schützenfest oder aus der Schule, ohne mit ihnen je das Klassenzimmer geteilt zu haben oder aus der Sparkasse. Dann hört man die aus Jugendtagen vertraute Sprache, in der viele Sätze mit „und ich sach noch..“ beginnt und mit „sach ich da“ beendet werden. Zumeist wird dieses mit der Nennung einer nicht am Gespräch Beteiligter Personen kombiniert, die sozusagen als Gewährspersonen für bereits „Gesachtes“ dienen können[1].
Zurück in’n Aldi.
Der Westfale an sich braucht Stunden, um einzukaufen oder wenn er durch starke Gewohnheiten geprägt ist, nur wenige Minuten, da er sowieso immer dasselbe kauft. Wenn Feiertage in erreichbarer Nähe sind, wie an jenem Tag Anfang April 2006, da Ostern mitsamt dem nicht verkaufsoffenen Karfreitag nur noch vier Tage entfernt war, kommt in den Westfalen jedweden Alters so etwas wie eine kollektive Erinnerung an die „schlechte Zeit“ zurück. Auch wenn sie sie aufgrund ihres Geburtsalters eigentlich gar nicht kennen. So auch die Höxteraner. Sie steigen mit einem Gefühl der Panik ins Familienauto, was sich in der Regel durch einen großen Kofferraum hervortut, fahren „nach’n Aldi“ und beginnen, einzukaufen. Da werden die Einkaufswagen, die, so habe ich den Eindruck, in jener Region sowieso besonders groß sind, bis zum Auseinanderbiegen des Drahtgeflechtes gefüllt, manchmal sogar noch ein zweiter Einkaufswagen hinzugeholt. Und genau in dieser Situation befanden sich die Einkäufer an jenem Montag Mittag. Die einen bewegten sich, scheinbar noch unschlüssig, zwischen den Regalreihen, andere schoben mit vor Anstrengung geröteten Gesichtern voll beladene Einkaufswagen.
So ein Einkaufswagen kam mir im Gang mit den Nudeln und sonstigen Nährmitteln entgegen. Zunächst sah es so aus, als würde er sich auf geheimnisvolle Weise selber bewegen, dann aber sah ich, dass er von einem nicht sehr hoch gewachsenen Mann geschoben wurde. Auch er sah sichtlich angestrengt aus. Und was türmte sich nicht alles in dem Wagen, es sah wirklich so aus, als ob jeder Artikel der Aldi-Filiale mindestens einmal vertreten war. Drei große Pakete Toilettenpapier, die im Begriff waren, das Gefährt mittels Herunterrutschen verlassen zu wollen, lagen ganz oben drauf.
Dann hielt der Wagen an. Der Mann dahinter richtete sich auf und rief mit leicht angestrengter Stimme über das Warenregal in den nächsten Gang herüber: „HassenochgenuchButttaMellanie?“ Jau, welch gewichtigen Worte… oder genauer gesagt: ein Wort… „HassenochgenuchButttaMellanie“. Unwillkürlich blieb ich stehen, vergewisserte mich mit einem Blick in meine kleine Einkaufstasche, die ich langsam an mich zog, dass sich darin ein Stück Butter befand. Die Antwort auf die Frage des kleinen Mannes ließ auch nicht lange auf sich warten.
Melanie näherte sich. Was für eine Frau! Die Walküren hätten ihre wahre Freude an ihr gehabt: sie war mindestens 1,90m groß und ich schätzte sie auf ca. 125 – 140 kg Lebendgewicht.
Tausende von Gedanken wirbelten in meinem Kopf umher. „hoffentlich hatte ALDI genug Butter“, war einer von ihnen, ein anderer: „schnell weg, bevor die Riesin erschnüffelt, dass sich inmitten meiner läpperlichen Menge an Einkäufen auch ein Stück Butter befindet“. Ich drehte mich betont langsam um und bewegte mich vollkommen unauffällig zur Kasse. Zwei Kinder, die verblüffende Ähnlichkeit mit der Riesin hatten, starrten mich an. Sie waren höchsten drei und fünf Jahre alt, wie ich nach einer schnellen Diagnose des Zahnstandes der Kinder ermitteln konnte, da sie mit offenem Mund da standen und nacht „Buttaaa“ witterten. Ich lächelte sie liebreizend an, ging schnell um sie herum und begab mich in den Schutz der Schlange vor der Kasse. Hinter mir hörte ich, wie Melanie ihrem Männlein zurief:
„JauichbrauchnochButtahommmafümmfStückissjaOstanOmmakommt“. Ich presste mein Stück an mich. Nein, das ist meins, dachte ich, mir meiner westfälischen Gene schlagartig bewusst werdend. Die Verkäuferin schaute etwas merkwürdig, als sie das verformte, warme Päckchen Buttttaa über den Scanner an der Kasse zog.
[1] Als Beispielsatz mag dieser Satz dienen: „Und ich sach noch zu Golückens Mechthild, da kommt bestümmt Regen, wenn ich getzt de Wesche aufhengg, sach ich da.“
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